Über Gerechtigkeit und Gleichberechtigung
Die aktuelle Themenwoche in der ARD zum Thema Gerechtigkeit beschäftigt mich seit langem sehr. Vielleicht geht es dir ähnlich, denn ich vermute, dass jeder von uns in seinem Leben aufgrund seines Geschlechtes, seiner sozialen Herkunft usw. ungleich behandelt wurde.
Gestern Abend wurde ein Spielfilm ausgestrahlt, der auf einer wahren Geschichte beruht. In ersten Moment hatte mich der Film interessiert, weil gezeigt wurde, wie früher in großen Fotofachlaboren Bilder wie am Fließband entwickelt wurden.
Die Geschichte basiert auf Beate Bergner und 29 weiteren Arbeiterinnen (Heinze Frauen) des Gelsenkirchener Fotofachlabor-Unternehmens Heinze, die 1981 vor dem Bundesarbeitsgericht die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen erfolgreich erstritten. Im Anschluss an den Film wurde bei Maischberger unter dem Thema: „Kaum Chefinnen, weniger Geld: Werden Frauen immer noch benachteiligt?“ diskutiert. Es hat mich erschüttert, dass es Männer gibt, die in der heutigen Zeit im Fernsehen phrasieren:
„Wohl kaum jemand würde sich von einer Ärztin operieren lassen, die ihren Job der Frauenförderung verdankt.“
Ich musste in diesem Moment an eines meiner ersten Vorstellungsgespräche nach meinem Studium denken, in der die Personalleiterin im Gespräch zu mir sagte, dass ich eh nicht für den Job in Frage komme, weil ich wegen zukünftiger Kinder ausfallen würde. Schon damals ist mir die Wut im Nacken hochgekrochen. Ich wollte arbeiten, Berufserfahrung sammeln – eine Karriere als Hausfrau hatte ich weniger im Sinn. Doch viel schlimmer fand ich es, dass die Diskriminierung von einer Frau gekommen war. Auch wenn ich persönlich nicht für eine Frauenquote bin (was nützt sie, wenn man gegen alle Widerstände den Job erhält und dann aus denselben Gründen wieder rausgemobbt wird), hätte sie es mir vll. damals ermöglicht, den Job aufgrund meiner Qualifikation zu bekommen und nicht weil ich eventuell Kinder haben könnte.
Jahre später, als ich als Projektmanagerin arbeitete, erlebte ich die nächste Benachteiligung. Für meine Projekte hatte ich ein Team mit verschiedenen Spezialisten. Mit einem Kollegen aus dem Team verband mich eine gute Freundschaft. Er arbeitete mir zu. Eines Tages, bei einem Glas Rotwein, sprachen wir über unsere Gehälter. Eigentlich ein absolutes No go und ein großes Wagnis, das war mir bewusst. So stellte es sich heraus, dass er – obwohl er keine Projektverantwortung hatte – das doppelte wie ich verdiente. Von dem Tag an fühlte ich mich von meinem Arbeitgeber getäuscht und ausgenutzt. Es waren nicht nur 21%, die statistisch gesehen Frauen in Deutschland weniger als Männer verdienen.
Dabei kommt die Ungleichbehandlung nicht nur durch Männer, sondern genauso durch Frauen. So führte ich eine Diskussion zum Thema Urheberrecht mit einer Kundin. Ich habe mich als Berufsfotografin immer wieder mit dem Thema beschäftigen müssen und habe mit Anwälten, die sich auf das Thema Urheberrecht spezialisiert haben, verschiedene Seminare moderiert. In dem Gespräch kam es zu einer Diskussion, die damit endete, das zu mir gesagt wurde: „Wem glaubt man mehr, einem Anwalt oder dir als Frau?“ Bis heute sitzt der Satz tief, aber im Laufe meiner Berufstätigkeit musste ich immer wieder erleben, dass Frauen Sachverstand, Expertise nicht zugetraut, ja sogar negiert werden.
So machte ich vor ein paar Jahren bei einem SEO-Wettbewerb mit. Es ging darum, Inhalte für eine Webseite zu optimieren, mit dem Ziel innerhalb weniger Wochen bei Google auf Seite eins mit diesem Inhalt platziert zu werden. Ich war die einzige Frau, die bei diesem IT-Contest mitmachte und freute mich sehr, als ich diesen Contest gewann. Ich hatte dabei Algorithmen herausgefunden, die bis heute Grundlage meiner Suchmaschinenoptimierung (SEO) sind und die damals umstritten waren. Meine Erfahrungen veröffentlichte ich in einem Artikel in der c’t. Im dazugehörigen Forum las ich später von einem Herren: „Ein toller Artikel, bei dem er viel gelernt hätte. Aber wenn er SEO für seine Firma bräuchte, würde er nur mit einer renommierten Agentur zusammen arbeiten.“ Wieder ein Punkt, an dem meine Arbeit als Frau nicht gleichwertig behandelt wurde. Was würde eine Agentur besser machen? Zumal ich von meinen Wettbewerbs-Kollegen nach meinem Gewinn beschimpft und beleidigt wurde. Nach dem Motto: „Wie konnte den eine Frau gewinnen?“.
Mir ist bewusst, dass Gleichberechtigung – egal ob Mann, Frau, Ost- oder Westdeutscher, Arbeiter oder Akademiker, Christlich oder Muslimisch, Deutscher oder Ausländer wichtig ist für ein soziales Miteinander. Artikel 3 des Grundgesetzes garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung der Geschlechter und verbietet Diskriminierung und Bevorzugung aufgrund bestimmter Eigenschaften. Doch die Realität sieht leider anders aus und ich habe das Gefühl, das wir in Bezug auf Gleichberechtigung rückwärts gerichtet sind.
Wir haben leider vergessen, wie viele Frauen und Männer in den letzten Jahrhunderten für Gleichberechtigung gekämpft haben. Vor 100 Jahren hätte ich noch nicht einmal wählen gehen können. Der Film gestern Abend hat gezeigt, mit welchen Konsequenzen Frauen leben mussten, die für ihre Ideale und Werte einstanden.
Ich bin von meiner Familie in der DDR tolerant und weltoffen erzogen wurden. Meine Großeltern und Eltern haben gleichberechtigte Partnerschaften geführt. Niemand wäre auf die Idee gekommen, neben Kinder und Haushalt nicht arbeiten zu gehen. Noch weniger, das die Frauen meiner Familie jemals ihren Mann haben fragen müssen, ob sie arbeiten gehen dürfen. Etwas, was es nicht gab und für mich unvorstellbar ist. Im Gegenteil, ich wurde von meinem Vater immer dazu ermutigt, um die Dinge zu kämpfen, die ich gerne machen wollte – und das ist bis heute so geblieben. Es wird nicht einfacher als Frau, nur weil man Älter wird. Um so schlimmer, das es heute immer noch viele Paare gibt, bei denen die Frau finanziell vom Mann abhängig ist und dementsprechend ungerecht behandelt werden.
Heute ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Drahtseilakt, den die meisten Frauen verlieren. Auch ich habe ihn verloren, als ich mein Kind geboren habe. Dank meiner Selbstständigkeit kann ich beides vereinbaren, auch wenn ich dadurch meine finanzielle Sicherheit verloren habe. Mir ist es wichtig, dass mein Sohn, als zukünftiger Vater, Ehepartner mit einem Verständnis für Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Toleranz aufwächst. Auch unter dem Aspekt, dass Mobbing aus den vielfältigsten Gründen ein tägliches Thema in der Schule ist. Gleichberechtigung ist nicht nur ein Problem zwischen Männer und Frauen. Es betrifft alle Geschlechter, Religionen, Nationalitäten und es wichtig, dafür zu streiten und zu kämpfen.
Es gibt auch heute sehr mutige Menschen, wie Seyran Ates, die unter dem Einsatz ihres Lebens vor einem Jahr die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin eröffnete, in der Frauen und Männer gleichberechtigt nebeneinander beten dürfen, in der eine Frau auch Imam sein darf und die Moschee offen für Homosexuelle ist. In der Paare unterschiedlicher Religionen getraut werden können. Werte, die vielerorts auch in unseren Kirchen nicht selbstverständlich sind.
Es lohnt sich, für diese Werte zu kämpfen.
Zuletzt kommentiert
Soncek
Hallo Jana.
Wie wahr und recht Du hast. Ich bin als Mann Ü40 oft maßlos erstaunt welche Ansichten und rückständige Meinungen bei auch jüngeren Leuten an der Tagesordnung sind. In einem, meint man, aufgeklärtem Land der westlichen Welt.
Jana Mänz
SoncekLieber Soncek, ich habe das auch mal angenommen, aber ich denke das leider nicht mehr. Solange Kinder zu nicht denkenden Konsumenten erzogen werden, wird sich das auch nicht ändern und wir werden in 50 Jahren die selben Rollenbilder haben wie heute oder noch schlimmer.