Über das Reisen: von Reiselust zu Reisefrust
Ich mag es gar nicht gerne zugeben, weil es so profan klingt, aber ich habe in den 90er Jahren vor allem deswegen Geographie studiert, weil ich die Welt erkunden wollte. Ich war fasziniert von berühmten Geographen und ihren Geschichten. Ich liebte alte Karten und hatte eine sehr romantische Vorstellung von Reisen vergangener Zeiten. Das im Laufe des Studiums die Faszination für Geoinformatik und Fernerkundung (Fotografie, Informatik und alte Landkarten) entstand und ich darin meinen Diplom-Abschluss machte, hätte ich mir am Anfang nicht vorstellen können.
Ein Studium schien für mich das Tor zur Welt zu sein. Raus aus meiner miefigen Heimatstadt. Ich war so verrückt, dass ich von meinem Bafög jeden Pfennig für die Reisen gespart habe. Schon als Kind und Jugendliche habe ich jede Gelegenheit genutzt, verreisen zu dürfen. Mit meinen Eltern bin ich nie in den Urlaub gefahren, aber ich hatte reisefreudige Großeltern bis ins hohe Alter, die mich mehrfach nach Bulgarien mitnahmen und die Möglichkeit, jedes Jahr ins Ferienlager zu fahren. Nach der Wende flog ich mit 14 Jahren das erste Mal ganz alleine nach Finnland zu einer Gastfamilie.
Damals wollte ich alles kennen lernen: Menschen, Kulturen, Landschaften. Ich hatte so eine Sehnsucht danach, die Welt zu erfahren, sodass ich wenig wählerisch alles annahm, was mir angeboten wurde. Ob es Exkursionen nach Südafrika, Spanien oder Neuseeland waren oder meine verkorkste mehrwöchige Fahrradtor durch Irland, die Billigbustour mit Rainbow-Tours nach Marokko, eine Motorradtour im Winter nach Schottland oder mein unrühmlicher Au pair Aufenthalt in England.
Als ich während meines Studiums meinen heutigen Partner kennen gelernte, war er von meiner Reiselust wenig angetan. Sein Spruch damals: „Kauf dir doch nen Bildband“. Nun, dass konnte er so oft wiederholen wie er wollte, am Ende ist er doch mitgekommen: nach Kanada und Neufundland, Westen der USA, Thailand, Dubai und mittlerweile halb Europa. Ja, ich/wir haben viel gesehen, wunderbare Orte und tolle Menschen kennen gelernt. Ich muss sicherlich nicht erwähnen, dass der Spruch mit dem Bildband sich erübrigte und wir heute noch von unseren Erlebnissen zehren. Und es gibt immer noch Regionen, wo ich unbedingt hinmöchte. Zum Beispiel Japan oder eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn (die wohl schönste Reise meiner Großeltern) – am besten beides miteinander verbinden.
Doch zur Wahrheit gehört auch, dass ich in den letzten Jahren reisemüde geworden bin. Reisen strengt mich mittlerweile sehr an und ich habe überlegt, woran es liegen könnte. Das Alter sollte es noch nicht sein (ich bin ja noch nicht soooo alt), dass ich Zuviel gesehen haben könnte und gesättigt bin, nein, das schließe ich aus, auch wenn mich bestimmte Länder nicht mehr reizen. An Corona liegt es auch nicht, auch wenn mich die Einreiseregeln bestimmter Staaten immer noch abschrecken und ich keine Lust darauf habe.
Woran liegt es, dass ganz schleichend aus Reiselust Reisefrust geworden ist?
In diesem Jahr haben wir uns für eine Reise innerhalb Deutschlands entschieden. Da ich unbedingt zum Marmorier-Workshop nach Staufen, Breisgau wollte und die Fahrt mit dem Auto vom Muldental ins Breisgau richtig lang ist, entschieden wir uns für einen Arbeits-Urlaub im Südschwarzwald. Ich höre immer noch meine Oma schwärmen, als sie in den 90er Jahren mit dem Rentnerbus zum Titisee gefahren ist. Das ist lange her, aber am Titisee scheint seit damals die Welt stehen geblieben zu sein. Der Mief der 90er ist heute noch unverwechselbar vorhanden, nur dass der Titisee aufgrund der Trockenheit heute viel weniger Wasser hat.
Aus früheren Reisen mit Uni und Arbeit kannte ich den Kaiserstuhl und Freiburg. Aber nicht das Elsaß, die Vogesen, den Südschwarzwald an sich. Es sollte also eine spannende Reise werden mit vielen neuen Orten.
Für mich ist eine Reise vielmehr Arbeit, da ich versuche, für zukünftige Themen, Artikel, Bildagentur spannende Motive zu finden. So richtig Urlaub habe ich wohl noch nie gemacht, dafür bin ich viel zu unruhig, denn meine Arbeit als Naturfotografin verfolgt mich überall hin. Da ich mir die Reise aufgrund des Workshops zeitlich nicht wirklich aussuchen konnte, musste ich mit dem Ferienmonat August vorliebnehmen.
Ich kann schon vorwegsagen, dass das Wetter im August im Breisgau nicht besonders fotogen ist. In diesem Jahr kam erschwerend hinzu, dass der Südwesten unter der gleichen Trockenheit leidet wie das Muldental. Es war alles verbrannt und braun. An vielen Orten im Hochschwarzwald sind die Nadelbäume vertrocknet und die Laubbäume sind wie im Oktober herbstlich gefärbt. Wasserfälle wie der Todtnau, der kaum Wasser hatte und mehr vor sich hin tropfte.
Die viel zu hohen Temperaturen, das viel zu grelle Augustlicht waren fotografisch wenig inspirierend. Ich wartete vergeblich auf Regen, Nebel usw. für das der Schwarzwald eigentlich berühmt ist. Das Wetter war aber nur das iTüfelchen, denn was die Reiseunlust wieder Bestärkte war die Region an sich.
Niemand von den bekannten Reise-Influencern, Reiseblogger usw. sprechen über überfüllte Wanderwege, über Massentourismus (auf dem Feldberg), über Millionen Verbotsschilder und Abzäunungen und ebenso vielen Menschen, die sich nicht daranhalten und überall ihre Fußabdrücke hinterlassen. Es werden immer wieder die altbekannten Instagrambildchen gepostet, die wiederum die Massen anziehen.
So herrscht im Feldbergsee striktes Badeverbot, um dort die einheimischen Flora und Fauna, vor allem das stachelsporige Brachsenkraut, eine Unterwasserpflanze zu schützen. Das interessiert nur niemanden, Kind und Kegel badeten halt angezogen, das ist ja dann kein echtes Baden. „Ironie off“
Der Wanderweg vom Feldberg zum Feldbergsee ist in meinen Augen ein sehr gefährlicher Weg. Es gibt Menschen, die den in Badelatschen und Sandalen begehen. Gleichzeitig ist dieser Weg nicht gesichert. In der Sächsischen Schweiz sehen diese Wege anders aus, mit Tritthilfen, Geländer usw. Es war unglaublich was ich hier erlebt habe und ehrlich, das macht wahrhaft keine Freude hier zu wandern. Ich möchte nicht wissen, wie oft die Bergwacht hier Menschen retten muss.
Ich vermute, dass meine Reiseunlust sich daraus entwickelt hat, dass immer mehr Regionen zu Massentourismuszentren mit all den Nebenerscheinungen wie Müll, Lautstärke, Parkplatznot usw. geworden sind. Das es ausschließlich um Konsum und weniger Naturerfahrung geht. Das alles eingezäunt wird und man überall auf Verbotsschilder trifft. Ein Erkunden von weniger bekannten Pfaden ist nicht mehr möglich. Ich denke dabei an das Hochmoor in Hinterzarten. Ich hatte vorab wunderbare Naturfotografien gesehen. Nun, in diesem Jahr ist es eher vertrocknet. Aber es wäre nicht möglich gewesen, Naturfotografien von typischen Pflanzen zu machen, weil man das Moor nur auf einem Weg, der zu beiden Seiten eingezäunt ist, durchlaufen kann.
Ich kann die Naturschützer verstehen: Bei diesem Andrang wäre jede Pflanze totgetrampelt und viele Menschen interessiert es nicht, wo sie hinlaufen. Das Hochmoor muss in seiner Besonderheit vor diesen Menschen geschützt werden. Das Phänomen des Kaputttrampelns von seltenen Pflanzen habe ich schon 2013 in meinem Naturfotografie-Buch beschrieben, als ich über die Orchideenführung im Leutratal, Thüringen schrieb.
Für mich war das Hochmoor eine gefühlte Katastrophe, ich hatte keine Lust diesen vorgefertigten Weg mit anderen Menschen und vielen nicht erzogenen Hunden in Reih und Glied zu laufen. Nein, das macht mir keine Freude auch wenn ich die Hintergründe dafür verstehe. Ich wüsste auch keine Lösung für das Problem.
Vielleicht denkst du jetzt, dass es nur ein regionales Problem ist. Nein, ich habe das unlängst an der Nordsee, auf Rügen, im Harz, in der Sächsischen Schweiz erlebt. Und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Ich bin im Harzvorland aufgewachsen und als Kind „musste“ ich viele Wochenenden in den Harz mit meinen Großeltern wandern gehen. Ich weiß noch wie das damals war. Alles war ganz einfach, Wanderwege erkundete man mühsam mit Wanderkarte und Kompass. Die Stullen wurden zum Wandern mitgenommen, wir reisten mit der Bahn an und wieder ab und unterwegs gab es nichts als Natur. Damals freute man sich, wenn man auf andere Wanderer traf. Heute völlig unvorstellbar.
Heute muss man aufpassen, dass man von den vielen eBike Fahrern nicht umgefahren wird. Im Schwarzwald auf den Wanderwegen waren sie eine Pest, denn sie fuhren vielfach mit erhöhter Geschwindigkeit überall lang (auch durchs Hochmoor), teilweise ohne Rücksicht auf Verluste. Müssten diese Leute mit ihrer Muskelkraft selber strampeln, würden sie die Wege sicherlich nicht fahren können. Wie so oft, wird eine Anfangs gute Idee pervertiert und es ist eine Frage der Zeit, bis die ersten eBikes mit ihren wenig umweltfreundlichen Batterien in der Natur entsorgt werden.
Im Ausland ist es nicht besser. Eine Freundin berichtete vor ein paar Tagen von dem völlig überfüllten Gardasee, von dem sie geflüchtet sind.
Dann denke ich mit Freude an den Sommer 2020, als wir in die Toskana gefahren sind. Stell dir Montepulciano, Siena und alle die schönen Orte fast menschenleer vor. Nur Einheimische und du kannst dich völlig frei bewegen. Das werde ich wohl nie wieder erleben. Noch heute träume ich davon und meinem Olivenhain in den toskanischen Bergen mit den Stachelschweinen im Vorgarten.
Was bleibt nun?
Ich habe keine Ahnung wie das weitergehen soll, was man tun muss, dass Menschen umdenken und die Natur wieder schätzen lernen. Urlaube dieser Art sind weder angenehm noch entspannend. Alles ist anstrengend. Als hochsensibler Mensch reagiere ich vielleicht auch noch viel stärker darauf. Dabei möchte ich nicht wissen, wie es heute an sehr bekannten Orten dieser Welt aussieht. Ich meide sie schon länger. Aber auch in unseren Regionen, ob Ostsee, Harz, Sächsische Schweiz, Schwarzwald macht Urlaub keinen Spaß mehr, vor allem wenn man auf der Suche nach Natur ist.
Gerade die Sächsische/Böhmische Schweiz leidet unter dem Massentourismus. Wandere mal in der Feriensaison zur Bastei oder zum Prebisch Tor. Solltest du unterwegs nicht umgerannt oder umgefahren werden, erwartet dich vor Ort eine laute Menschenmasse, die scheinbar nur darauf aus ist, vor Ort Alkohol in den selben Massen lautstark zu konsumieren. Die schlimmen Waldbrände in diesem Jahr kommen nicht von ungefähr. Ob es achtlos weggeworfene Kippen sind, Flaschen die überall hingeschmissen werden – fast immer ist es der Mensch, der diese auslöst.
Manchmal wünschte ich mir die Zeit zurückdrehen zu können und die Natur meiner Kindheit noch einmal erleben zu dürfen. Doch Zurück geht es nicht, die Frage ist, wie können wir alles entschleunigen, vereinfachen. Uns wieder besinnen, Natur genießen und bewahren. Ich habe leider keine Antwort darauf. Ich wünsche mir, dass aus meiner Reiseunlust irgendwann wieder eine freudige Reiselust wird und der Möglichkeit, die Natur in all ihren Facetten zu genießen.
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Werner Lukaszewicz
Oh ja, ein ganz schwieriges Thema. Und ich war viele Jahre Teil dieses „Systems“ (Reisebüro) …
Und dort habe ich so schreckliche Dinge erlebt (Kunden), aber auch viele schöne Erfahrungen gemacht (während des Reisens mit Land und Leuten). Ist aber insgesamt echt schwierig und auch ich würde mir manches Mal wünschen, dass man wieder mehr wertschätzt. Und das nicht nur beim Reisen … LG Werner