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Jana Mänz - Naturfotografie mit Seele

Einsamkeit in „Deine kalten Hände“: Die Suche nach Wahrheit hinter der Maske

16. Oktober 2024
6 min Lesezeit

Vielleicht hast du in den letzten Tagen mitbekommen, dass die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang 한강 den Literaturnobelpreis 2024 bekommen hat. Ich kenne die Autorin schon etwas länger, da ich gerne südkoreanische Literatur lese. Viele meiner Lieblings-K-Dramen haben eine literarische Grundlage, aber leider werden diese Romane nicht ins Deutsche übersetzt.

Von Han Kang sind bisher vier Romane ins Deutsche übersetzt worden und ich möchte dir den Roman „Deine kalten Hände“ vorstellen.

„Deine kalten Hände“ von Han Kang ist ein sehr spezieller Roman, der die Einsamkeit der menschlichen Existenz auf vielfältige Weise thematisiert. Im Zentrum steht der Bildhauer Jang Unhyong, der Gipsabdrücke lebender Hände und Körper anfertigt. Für Jang verraten Hände mehr über das wahre Wesen eines Menschen als Gesichtsausdrücke. Durch seine Arbeit versucht er, hinter die Masken der Menschen zu blicken. Doch diese Suche nach einem tieferen Verständnis von Leben und Tod wird zunehmend zur Reflexion seiner eigenen inneren Leere und Isolation.

Der Roman zeigt, wie Jang, besessen von der Obsession, den Kern des Menschseins zu erfassen, immer weiter von seiner Umwelt entfremdet wird und sich aus der Gesellschaft zurück zieht.
Ein zentrales Motiv in der Geschichte ist die Beziehung zwischen Jang und der übergewichtigen Frau L., die ihm als Modell dient. Sie ist eine Außenseiterin in einer Gesellschaft, die sie aufgrund ihres Körpers ablehnt, und findet in Jangs Interesse an ihren Händen und ihrem Körper eine unerwartete Art von Aufmerksamkeit. Jang ist fasziniert von den zarten Händen dieser Frau, die für ihn mehr von ihrer zerbrechlichen Seele preisgeben als ihre äußere Erscheinung. L.s Unsicherheit und die Frage nach Jangs Motiven verdeutlichen, dass auch er aus einer tiefen inneren Einsamkeit handelt. Beide Charaktere sind gefangen in einem Kreislauf von Selbstzweifeln und gesellschaftlichem Druck.

Die Beziehung zwischen Jang und L. entwickelt sich zu einer Affäre, doch als sie ihn verlässt und später als schlanke, dem Schönheitsideal entsprechende Frau zurückkehrt, bleibt nichts von dem einstigen Gleichgewicht übrig. L. hat sich einem extremen Körperbild unterworfen, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Ihre Essstörungen sind das Ergebnis eines tiefen Missbrauchstraumas und führen in einen Teufelskreis der Selbstzerstörung.
Han Kang taucht hier tief in die Themen von Selbstzerstörung, patriarchalen Strukturen und dem Druck, der auf weiblichen Körpern lastet, ein. Intensiv beschäftigt sie sich mit der Frage, wie männliche Gewalt und gesellschaftliche Konventionen weibliche Körper und Identitäten deformieren.

Der Gipsabdruckprozess, der durch die schmerzhafte Hitze des aushärtenden Materials gekennzeichnet ist, spiegelt die körperliche und emotionale Gewalt wider, die die Frauen in Jangs Leben ertragen. Diese Abdrücke werden zum Symbol für den Schmerz und den Kampf, den die Frauen um ihre Körper führen.
Zusätzlich wird die Thematik der Maske als Hülle und Schale durch die Figuren verstärkt. Jang Unhyong zeigt in seinen Gipsabdrücken das Oberflächliche und hinterfragt, was ein Mensch dem anderen von sich selbst zeigt. Sein Misstrauen gegenüber anderen und sich selbst lässt ihn in der Überzeugung leben, dass er gänzlich hohl und leer ist. Die Ursachen dieser Obsession sind in seiner Kindheit verwurzelt, wo er die emotionale Kälte seiner Eltern wahrnahm und diese Kälte ihn auf jeder Seite des Romans begleitet. Besonders berührt war ich von der Erzählung von der Maske seiner Mutter, die ich ebenso aus meiner eigenen Kindheit kenne.

Die meisten Charaktere im Buch sind auf Anfangsbuchstaben reduziert, was ihre Anonymität und Isolation verstärkt. Insbesondere die Charaktere L. und E. verkörpern die Gratwanderung zwischen Maske und wahrem Ich, da ihr äußeres Erscheinungsbild nie mit ihrem Inneren übereinstimmt. E. erscheint als perfekte Frau, hat jedoch diese Perfektion bis zur Selbstaufgabe antrainiert, was bei Jang und anderen Abneigung auslöst.

Der Roman endet offen, als Jang schließlich selbst verschwindet, ohne eine Spur zu hinterlassen, außer seinen Aufzeichnungen, die seiner Schwester übergeben werden. Nichts deutet darauf hin, dass Jang von der Welt, die ihn als Außenseiter betrachtet, zurückkehren möchte. Seine Flucht in die Einsamkeit spiegelt die grundlegende Isolation wider, die sein ganzes Leben und Schaffen durchdringt.

Insgesamt ist der Roman Deine kalten Hände unbequem und gelegentlich abstoßend. Die Einsamkeit und emotionale Verkümmerung der Charaktere wird eindrucksvoll geschildert und bleibt dabei stets gegenwärtig. Han Kang bietet eine hochinteressante Studie ihrer Charaktere und ihrer Abgründe, die in einem Spiel mit Identität und Erwartung kulminiert. Das Buch ist eine eindringliche Reflexion über die Suche nach Wahrheit in einer Welt, die von Oberflächlichkeit und Einsamkeit geprägt ist.

Fazit

Deine kalten Hände hat mich von Anfang an gefesselt, und ich konnte es in einer einzigen Nacht durchlesen – so sehr hat mich die Geschichte fasziniert. Die Übersetzung ins Deutsche ist gelungen und besticht durch eine klare und schöne Sprache, was bei vielen Übersetzungen nicht selbstverständlich ist. Dennoch hätte ich das Buch gerne im Original gelesen, da mir das typische koreanische Flair fehlte. Ohne die gelegentliche Erwähnung von Seoul hätte die Handlung ebenso gut in Berlin oder London stattfinden können. Zudem haben die Anpassung koreanischer Namen an die deutsche Schreibweise und das Fehlen spezifischer koreanischer Begriffe wie „Ramyeon“ statt „Nudelsuppe“ etwas von der kulturellen Tiefe genommen. Diese Punkte sind jedoch eher Kleinigkeiten, die meinen Lesegenuss nicht grundlegend beeinträchtigt haben.

Das Buch ist oft verstörend. Seine Figuren sind nicht besonders liebenswert und oft kalt; dennoch bietet es eine hochinteressante Studie seiner Charaktere und ihrer Abgründe. Han Kang spielt mit Identität und Erwartung und reißt den Charakteren nur für wenige Augenblicke die Masken herunter. Die Einsamkeit und emotionale Verkümmerung, die sie durchleben, strahlt eine unaufhaltsame Aura der Unvermeidlichkeit aus. So wunderbar die Sprache auch daherkommt, der Inhalt ist oft schwer verdaulich. Dies macht es dem Leser nicht leicht, sich mit den Charakteren zu identifizieren. Trotzdem mochte ich das Buch genau aus diesem Grund, weil es so wunderbar unserer Gesellschaft einen Spiegel vorhält scheinbar egal ob wir in Korea oder in Deutschland leben.

Das Ende des Buches, das in einem offenen Cliffhanger mündet, lässt einen mit einem unbefriedigten Gefühl zurück und stellt die Frage nach einer Fortsetzung in den Raum. Trotz dieser Mängel bleibt „Deine kalten Hände“ für mich ein ein großartiges Buch, das mir viel Freude bereitet hat.

Han Kang

Deine kalten Hände

Ein großer Roman über die Einsamkeit der menschlichen Existenz.

Eines Tages verschwindet der Bildhauer Jang Unhyong beinahe spurlos. Er hinterlässt seine faszinierenden Gipsabdrücke von Händen und Körpern – und ein bewegendes Tagebuch, das seine lebenslange Suche nach Nähe und Wahrhaftigkeit in einer Welt voller Masken schildert.

ISBN: 978-3351037628
Originaltitel: ‎ 그대의 차가운 손 (In Your Cold Hands)

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TAGS:BuchtippHan KangKoreaRomanvorstellung
1 Comment
Jana Mänz

– geboren 1976 in Halberstadt. In ihrer künstlerischen Arbeit verbindet sie die Liebe zur Natur mit einer tiefen Auseinandersetzung mit japanischer Ästhetik und ostasiatischer Kunst. Statt die Welt abzubilden, sucht sie nach den stillen Momenten dazwischen – nach Licht, Vergänglichkeit und innerer Resonanz. Ihre Bilder entstehen nicht aus dem Wunsch nach Perfektion, sondern aus dem Bedürfnis, dem Wesen der Dinge näherzukommen. In ihren Workshops geht es nicht um Technik, sondern darum, wie sich Sehen, Empfinden und Natur auf neue Weise verbinden lassen.

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  • BluS
    21. Oktober 2024

    Liebe Jana,

    danke für den wertvollen Tipp.

    Beste Grüsse
    Simone

    Antworten

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