
Was bleibt, wenn kein gutes Bild gelingt? Gedanken zur Naturfotografie
Wenn nichts gelingt – über Hitze, Erwartungen und das Loslassen
Es gibt diese Tage, an denen einfach nichts klappen will. Neulich hatte ich wieder so einen. Im Saaletal, auf meinen geliebten Orchideenwiesen. Ein Ort, der mir heilig ist. Ein Ort, den ich jedes Jahr besuche wie ein Pilger seine Kapelle – voller Vorfreude, aber ohne zu wissen, was mich erwartet.
Die Natur folgt ihrem eigenen Rhythmus. Sie lässt sich nicht drängen, nicht zwingen. Das Knabenkraut schlummerte in diesem Jahr noch, versteckte seine Blüten vor meiner Kamera. Dafür tanzten überall Spinnen- und Fliegen-Ragwurze zwischen großen weißen Windröschen im Wind. Als würden sie sagen: „Schau, wir sind auch da. Wir sind anders als erwartet, aber nicht weniger schön.“

Ich setzte mich mitten in die Wiese. Die Sonne brannte unbarmherzig auf meinen Nacken, mein Körper signalisierte : „Es ist zu heiß.“ Aber ich blieb. Die Wiesen geben mir Kraft, sie sind mein Seelenort. Also kämpfte ich gegen das unangenehme Gefühl mitten in der Sonne zu sein und fotografierte. Natürlich standen die schönsten Pflanzen genau dort, wo kein gnädiger Schatten war. Als würde die Natur mich prüfen wollen. Es war ein wunderschöner Tag, ich habe es trotz der Hitze sehr genossen an einem meiner Lieblingsplätze gewesen zu sein, obwohl ich tief in mir drinnen wusste, dass der Tag fotografisch gesehen wohl eher eine Nullnummer gewesen ist.
Zuhause wurde mein Gefühl zur Gewissheit: Keine Glanzleistung auf der Speicherkarte und gleichzeitig dieses nagende Gefühl des Scheiterns. Ich löschte fast alle Bilder. Sie waren einfach nicht gut. Nicht annähernd so, wie ich sie im Kopf hatte.
Früher hätte mich das aus der Bahn geworfen. Den Tag, die Zeit und die Kosten dort hin zu fahren als Vergeudung gesehen. Ich hätte mich selbst zerfleischt mit Zweifeln – an meinem fotografischen Auge, an meiner Berechtigung, überhaupt eine Kamera in die Hand zu nehmen. Vielleicht sogar an meinem ganzen künstlerischen Tun.

Heute sehe ich es anders: Mein Körper war erschöpft, mein Kopf in der Hitze nicht bei der Sache. Ich war physisch dort, aber nicht wirklich präsent. Und genau deshalb hat es nicht funktioniert. Kein dramatisches Scheitern – nur ein Moment, der einfach nicht passte.
Jemand sagte neulich einen Satz, der wie ein Stein in den stillen See meiner Gedanken fiel: „Wir sind keine Maschinen.“ Die Wellen dieser Erkenntnis spüre ich immer noch. Wir können einfach nicht immer und jederzeit funktionieren und liefern, egal wie wir uns fühlen. Nicht, wenn der Körper streikt. Nicht, wenn die Seele müde ist. Und schon gar nicht, wenn der Druck, den wir uns selbst machen, zu erdrückend wird.
Meine Bilder entsprechen vielfach nicht dem, was der Mainstream als gut bewertet. Aber ich fotografiere nicht, um fremde Erwartungen zu erfüllen. Ich fotografiere, um in Beziehung zu treten. Mit dem, was da ist. Mit dem, was sich mir zeigt. Und manchmal ist das eben: Müdigkeit. Schwäche. Unschärfe.
Kreativität verläuft in Kurven. Mal geht etwas auf, mal bleibt die Blüte verschlossen. Es gibt diese magischen Tage, an denen alles fließt – und dann wieder solche, an denen einfach nichts klappen will. Auch das gehört zum Prozess.

Wie gehe ich damit um? Manchmal reicht es nicht, sich bloß zu sagen: „Das ist okay.“ Man braucht Anker – kleine Gesten und Rituale, die helfen, loszulassen und wieder Vertrauen zu fassen:
Den Blick auf das richten, was war. Auch wenn die Bilder nichts wurden – da war dieser eine kurze Moment, als eine Biene neben mir landete und ich ihren summenden Flügelschlag spürte. Der Duft der warmen Erde. Das Gefühl von Gras an meinen Beinen. Diese kleinen Dinge zählen. Sie tragen mich.
Die Frage ändern. Nicht: Was will ich unbedingt mitbringen? Sondern: Womit darf ich heute in Kontakt treten? Was will sich mir zeigen? Das nimmt den Druck – und schenkt Freiheit.
Gedanken unterbrechen. Wenn die Zweifel kommen, hilft manchmal ein bewusster Schnitt: innehalten, tief atmen, den Blick zum Himmel richten. Das Jetzt spüren, nicht das „Hätte“ und „Sollte“.
Ein eigenes Ritual finden. Für mich hilft es, die Fotos erst am nächsten Tag zu sichten – mit etwas Abstand und einer Tasse Tee in der Hand. Oder ein bewusstes „Feierabend-Bild“ zu machen, das den Tag rund macht. Etwas, das nur für mich ist.
Pausen zulassen. Manchmal ist ein Tag einfach nicht der richtige. Dann darf die Kamera in der Tasche bleiben. Dann darf ich einfach nur schauen, atmen, sein. Auch das ist Teil der Fotografie – das Nicht-Festhalten.
Man muss nicht immer stark sein. Nicht immer kreativ. Nicht immer sichtbar. Manchmal reicht es, einfach da zu sein – mit allem, was ist. Auch wenn das weniger ist, als ich erhofft hatte. Und das ist völlig in Ordnung. Mehr noch: Vielleicht ist es genau das, was ich in diesem Moment lernen sollte.
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Danke von Herzen. Jana
Zuletzt kommentiert
Dirk Trampedach
Liebe Jana,
es ist immer wieder erstaunlich, wie relativ wenige Fotografinnen und Fotografen mit solchen Begebenheiten konstruktiv umgehen. Wenn ich deine Zeilen lese – die ich übrigens hoch positiv lese – kommen mir Gedanken in den Sinn, die ich zu diesen vermeintlich „unnützen“ Fototagen vielfach gedacht habe und denke. Ein Wort davon kommt in deinem Artikel auch vor: „Prozess“.
Ist nicht oftmals der Prozess viel bedeutender, als das Resultat? Im Prozess schulen und verinnerlichen wir die relevanten Skills. Dann tatsächlich ohne Ergebnisse heim zu kommen, ist vielleicht kopfmäßig eine anstrengende Sache, aber in jedem Fall eine gute Erfahrung! Mir geht das während meiner Street Photography ebenso. Ich komme teils ohne ein einziges Foto heim, und das nach Stunden. Gut war der Einsatz dennoch.
Oft denken muss ich dann an Vivian Maier. Sie fotografierte zig tausende Fotos, ohne jemals nur eins davon zu sehen! Aber da waren auch diese zig tausend Prozesse mit ihren Augenblicken, Erlebnissen, Begegnungen und Erkenntnissen.
Ein wirklich beeindruckender Mensch, den ich sehr schätze, sagte neulich sinngemäß in einem Interview „Wir warten in schwierigen Zeiten automatisch immer auf die richtigen Antworten. Dabei ist es viel bedeutsamer, zu den jeweiligen Umständen überhaupt erstmal die richtigen Fragen zu finden“.
Das hat mich unter der Vorgabe „richtige Frage“ auf meine Fotografie sehen lassen. Die Fragen, die zu stellen sind, stehen für meine Art der Neugier, des Interesses, und meines Blicks auf die Welt (das Motiv).
Deine Gedanken zum Vorgefundenen, und dem, was daraus (gedanklich; fotografisch) geworden ist, finde ich sehr bestätigend und wirklich klasse.
Danke für die schöne Lesezeit!
Jana Mänz
Dirk TrampedachLieber Dirk,
herzlichen Dank für deine Rückmeldung zu meinem Artikel. Gerade das, was du beschreibst – dass auch ein Tag ohne Bilder ein wertvoller fotografischer Tag sein kann – entspricht genau dem, was ich zunehmend versuche zu verinnerlichen. Auch wenn es im ersten Moment schwerfällt, nicht an Ergebnissen zu messen, so liegt doch im bewussten Wahrnehmen, im Dasein und Beobachten eine eigene Qualität, die man oft erst im Nachhinein erkennt.
Dein Hinweis auf die Bedeutung der richtigen Fragen statt der schnellen Antworten hat mich besonders angesprochen. Das ist ein Gedanke, den ich sicher noch eine Weile mit mir tragen werde – auch über die Fotografie hinaus.
Vielen Dank für deinen wertvollen Impuls und das aufmerksame Lesen.
Liebe Grüße, Jana
Detlef
Liebe Jana,
diese von Dir beschriebenen Momente kenne ich auch sehr gut!
Die Fotografie ist für mich „nur“ ein Hobby und daher habe ich keinerlei
Leistungsdruck. Und trotzdem deckten sich meine Gedanken fast 1 zu 1 mit deinen.
Die Fotografie ist mein Ventil im Alltag bzw. mein Mittel in die Ruhe zu kommen.
Ich betrachte meine kleinen Auszeiten mit der Kamera als Genuss und mittlerweile
spielt der Output keine übergeordnete Rolle mehr. Wenn mir dabei dann auch noch
das eine oder andere schöne Bild gelingt ist das natürlich umso schöner.
Viele Grüße
Detlef
Jana Mänz
DetlefLieber Detlef,
vielen Dank für deinen Kommentar. Gerade weil du die Fotografie „nur“ als Hobby betreibst, finde ich es umso bemerkenswerter, wie klar und bewusst du deine Haltung dazu beschreibst. Dass der Druck nachlässt, sobald der Fokus auf den Moment und das persönliche Erleben rückt, kenne ich ebenfalls. Diese kleinen Auszeiten – ohne Erwartung, ohne Ziel – können eine ungeahnte Tiefe entwickeln. LG Jana