
Musik für die Seele: Hörbare Zwischenräume – Wie Musik unsere inneren Welten berührt
»Lange bevor Menschen Noten schrieben oder das Wesen der Musik mit Worten zu fassen versuchten, lebte in Samos ein Mann, der die Welt mit anderen Ohren hörte. Pythagoras war sein Name, und es heißt, er lauschte den Sternen.
Nachts, wenn der Himmel klar war und die Schatten der Zypressen lang über den Boden fielen, hob er den Blick zu den Himmelskörpern und vernahm ihre Bewegung wie einen leisen Gesang. Kein Mensch konnte diesen Klang hören, doch für ihn war er da – eine Ordnung aus Zahlen, Schwingungen, Proportionen. Ein stilles Lied, das alles durchdrang: die Wege der Planeten, den Wechsel der Jahreszeiten, das Auf und Ab der menschlichen Seele.
Pythagoras sprach davon, dass alles im Kosmos Klang sei. Und dass jener, der diese Harmonie verstimme – sei es durch Leid, Zorn oder Angst –, wieder in Einklang gebracht werden könne. Nicht durch Worte. Nicht durch Taten. Sondern durch Töne.
Er soll gesungen haben, wenn der Schlaf die Menschen mied. Spielte auf der Leier, wenn Trauer sich in einem Herzen festgesetzt hatte. Seine Musik, so erzählt man, war keine Kunst, sondern eine Rückkehr – zu etwas, das viele vergessen hatten: das Gleichgewicht zwischen Körper, Seele und Welt.
Ob diese Erzählung wahr ist, kann niemand mit Gewissheit sagen. Doch sie wurde weitererzählt, über Jahrhunderte hinweg. Ihr Wert liegt sicherlich nicht darin, dass sie geschehen ist, sondern dass sie immer noch etwas in uns zum Klingen bringt.«
Ob diese Geschichte um „Pythagoras und der Harmonie der Sphären“ je so geschehen ist, wird sich nicht klären lassen. Doch das Herz mancher Geschichten schlägt nicht in den Fakten, sondern in den Bildern, die sie in uns wecken. Vielleicht ist es gerade die Idee der Harmonie, die uns nicht loslässt. Der Gedanke, dass es da eine Ordnung gibt – zwischen Himmel und Erde, zwischen Körper und Seele, zwischen dem, was war, und dem, was noch kommen darf.
Und doch ist die Wirklichkeit vielschichtiger. In der Musik wie im Leben gibt es keinen vollkommenen Einklang. Selbst in den mathematisch exakten Tonverhältnissen, die Pythagoras zugeschrieben werden, liegt ein kleiner Riss. Die sogenannte pythagoreische Stimmung, ein System, das Töne in reinen Intervallen anordnet – Oktaven, Quinten, Quarten – basiert auf klaren Zahlenverhältnissen und wurde über Jahrhunderte hinweg genutzt. Sie klingt hell, fast schwebend, und sie trägt den Wunsch nach einer himmlischen Ordnung in sich. Doch auch sie kennt ihre Grenzen. Wer eine Tonleiter auf dieser Grundlage aufbaut und dann versucht, sie vollständig zu schließen, wird am Ende mit einem feinen, aber spürbaren Widerspruch konfrontiert: dem pythagoreischen Komma. Eine winzige Differenz, ein Unstimmigkeit zwischen Anfang und Ende. Als wollte die Musik selbst sagen: Vollkommenheit ist ein Ideal – aber nie ganz von dieser Welt.
Ich musste daran denken, als ich in einem Workshop zum ersten Mal das Musikprojekt „Mozart in Ägypten“ hörte. Eine Collage aus barocker Ordnung und orientalischen Klängen, aus bekannten Harmonien und fremden Farben. Während andere im Raum sich unwohl fühlten, gar bedrängt oder irritiert – war da in mir ein Staunen, eine stille Freude. Ich fühlte mich nicht bedroht, sondern berührt. Vielleicht gerade, weil die Musik nicht glatt war. Weil sie sich nicht einordnen ließ. Weil sie Räume öffnete, statt sie zu schließen.
Musik hat diese seltsame Kraft, uns auf eine Weise zu erreichen, die kein Wort vermag. Sie trifft nicht unser Denken, sondern das Dazwischen – zwischen Gefühl und Erinnerung, zwischen Verletzung und Hoffnung. Genau darum gibt es auf meinem Blog die Rubrik „Musik für die Seele“.
Weil ich glaube, dass es Orte braucht, an denen nicht alles erklärt, sondern gespürt werden darf.
Und manchmal finde ich diese Orte in der Musik koreanischer Dramen. In Liedern, die nicht laut sind, sondern leise mit mir gehen. Die nichts fordern, aber vieles offenlassen.
Drei davon möchte ich mit dir teilen – nicht als Empfehlung, sondern als Einladung:
„Only Scratches 상처만“ von Bois aus dem Drama Secret Garden – ein Lied, das Schmerz nicht dramatisch auflädt, sondern ihm Raum lässt.
„How Can I Forget You 모텔 캘리포니아 “ von Kang Asol aus Motel California – zart, verloren, ehrlich.
„All Our Days 우리 모든 날들“ von Kim Feel aus Family by Choice – wie ein warmer Nachhall von allem, was uns trägt. Ein wunderbares K-Drama. Sehenswert!
Es könnte sein, dass eines dieser Lieder in dir nachklingt. Oder auch nicht. Das ist das Schöne an Musik: Sie trifft uns nicht immer – aber wenn sie es tut, dann tief.
All das – die Idee der Sphärenmusik, das pythagoreische Komma, die Verstörung und die Schönheit in fremden Klängen – mag nichts anderes sein als eine Erinnerung: dass wir Teil eines großen Ganzen sind, auch wenn wir es nicht immer verstehen. Dass selbst die Musik, die uns nicht auf Anhieb gefällt, etwas in uns zum Schwingen bringen kann. Dass Harmonie nicht Stille meint, sondern ein feines Gleichgewicht zwischen Spannung und Auflösung, zwischen Nähe und Distanz, zwischen dem, was war, und dem, was werden darf.
Gerade in dieser Unvollkommenheit könnte der wahre Trost liegen: Dass auch wir nicht glatt sein müssen. Dass das, was uns aus dem Takt bringt, Teil einer größeren Melodie ist, die wir erst mit der Zeit begreifen.
Wenn ich heute Musik höre – sei es ein barockes Fragment, ein leiser Klang aus dem Orient oder ein Lied aus einem K-Drama – dann horche ich nicht auf Perfektion. Ich höre auf das, was bleibt. Auf das, was trägt. Auf das, was in mir nachhallt, auch wenn es längst verklungen ist.

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