Wenn sich zwei Sinne kunstvoll verbinden: analoges Sehen und analoges Hören
Buchvorstellung: Martin J. Kunz (2021): Analoges Sehen und Analoges Hören
Heute möchte ich meinen Lesern ein ganz besonderes Buch vorstellen. Ein Buch, das ich nie gefunden hätte, denn ohne ISBN ist es im Buchhandel nicht zu finden. Trotzdem ist es mir in die Hände gefallen. Alles begann damit, dass ich mal wieder bei Kleinanzeigen.de surfte und auf alte Vintage-Objektive stieß. Und so kaufte ich mir ein Helios-81 H 2/50 MC Vintage-Objektiv aus den 1960er Jahren mit Nikon F-Bajonett. Auf diese Weise lernte ich Martin kennen und erfuhr, dass er mitten in Corona ein Liebhaberbuch über Vintage-Objektive veröffentlichte – so wie ich mein Buch „Gefühl und Verstand – Naturfotografie“, das von vielen Bildern lebt, die ich mit dem Trioplan100 gemacht habe. Natürlich wird dieses Objektiv auch in Martins Buch vorgestellt und vieles mehr. Als ich mit Martin telefonierte, hatte ich spontan die Idee, das Gespräch in Form eines Interviews mit meinen Lesern zu teilen.
Wer ist schon so verrückt, über dreihundert alte Objektive zu sammeln und was macht man vor allem damit, außer ein Buch darüber zu schreiben? Und was hat analoge Altglas-Fotografie mit Schallplatten-Musik zu tun? Dazu weiter unten im Interview….
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Altgläser an Digitalkameras
- Normalbrennweiten-Objektive
- Carl Zeiss Ultron 50 mm f/1.8
- Porst Color Reflex MC 50 mm f/1.4 Auto
- SMC Takumar 55 mm f/1.8
- Canon FD 50 mm f/1.4 S.S.C.
- Canon FL 58 mm f/1.2
- Yashica ML 50 mm f/1.4
- Konica Hexanon AR 50 mm f/1.4
- Minolta MC Rokkor-PG 50 mm f/1.4
- Nikon Nikkor-S.C. 50 mm f/1.4 Auto
- Weitwinkelobjektive
- Canon FDn 24 mm f/2.8
- Carl Zeiss Jena Flektogon 35 mm f/2.8
- Nikon Nikkor-O 35 mm f/2 Auto
- Pentacon 29 mm f/2.8 auto MC
- Teleobjektive
- Canon FD 85 mm f/1.8 S.S.C.
- Meyer-Optik Görlitz Telefogar 90 mm f/3.5 V
- Meyer-Optik Görlitz Trioplan 100 mm f/2.8
- Feinmess Dresden Bonotar 105 mm f/4.5 V
- MOG Orestor / Pentacon 135 mm f/2.8 (MC)
- Rollei Rolleinar 135 mm f/2.8 MC
- Russische Objektive
- Helios-44 58 mm f/2
- Helios-40-2 C 85 mm f/1.5
- Industar 61 L/Z 50 mm f/2.8 MC Makroobjektive
- Macro-Revuenon 24 mm f/4 MC
- Minolta MC Rokkor 50 mm f/3.5 Macro
- Kiron 105 mm f/2.8 Macro MC
- Neues „Altglas”
- Lomography Petzval 80,5 mm f/1.9 Mark II
- Das ist noch wichtig
Mein Interview mit Martin J. Kunz
Wie bist du dazu gekommen, so viele Vintage Objektive zu sammeln? Wann hat das angefangen und was begeistert dich daran?
Martin: Ich habe die Perfektion der modernen Objektive zunehmend als störend empfunden, ohne zunächst zu wissen warum dem so ist. Erinnerung an meine alten Fotos aus der „analogen Zeit“ der Fotografie – in den meisten Fällen als Diapositive aufgenommenen – kamen empor. Bei der Durchsicht der alten Dias (eingescannt in den 2010er Jahren) kam die Erkenntnis, dass diese Aufnahmen wohl auch und möglicherweise gerade wegen ihrer technischen „Mängel“ wie Körnigkeit, starke Kontraste, leichte Unschärfe insbesondere in die Fotorandbereiche oder auch Lichtflares Emotion, Glaubwürdigkeit und Authentizität herüber bringen. Und genau das ist es, was modernen Objektiven abgeht, da sie auf höchst präzise Schärfeabbildung über möglichst den gesamten Bildbereich getrimmt werden, bei denen eine möglichst exakte Farbwiedergabe und ein ausgeglichener Hell- Dunkelkontrast das Maß der Dinge sind.
Ich wollte aber die Leistung heutiger Digitalkameras weiter nutzen, allerdings unter Verwendung alter, analoger Objektive – dem sogenannten „Altglas“. 2018 hatte dieser positive Altglas-Virus mich gepackt. Schnell kam der Wunsch auf, die Besonderheiten möglichst vieler unterschiedlicher alten Linsen zu erproben und meine Sammlung wurde bald dreistellig. Sie lebt und wird ständig ergänzt und bewährte Objektive dürfen auf die Suche nach anderen Anschlüssen gehen.
Welches ist dein Lieblingsobjektiv? Was ist das Besondere für dich persönlich daran?
Martin: Das Carl Zeiss Ultron 50 mm f/1.8 mit der konkaven Frontlinse. Es gibt noch einige weitere Altgläser, die ich liebe und die mich nie mehr verlassen werden. Aber das „Ultron konkav“ steht mir so nahe und auch in meinem Buch die Polposition bezogen, da seine Entwicklung Mitte der 1968 Jahre der überzeugten Absicht folgte, aus dem Mainstram ausbrechen zu können und etwas Neues zu wagen. Bei diesem Objektiv wurde die Frontlinse als eine konkav Linse ausgeführt anstelle der sonst immer eingesetzten konvexen Linsen, um mindestens scharf abbilden zu können, wie konvexen Linsenkonstruktionen. Technisch war das eine besondere Herausforderung und die Fertigung teurer als bei herkömmlichen Objektiven, so dass dieses besondere Objektiv nur für ca. 4 Jahre produziert wurde.
Das Objektiv hat eine extrem gute Schärfeabbildung und eine große Offenblende, die ein wunderbar sahniges Bokeh zaubern kann. Mal was anderes wagen als alle anderen in ihrer bewährten, sicheren und gewohnten Umgebung nahezu risikolos tun, das faszinierte mich und ist meine Antriebsfeder mich zu interessieren und weiter zu entwickeln. Diese Mischung an Spannung und Emotion macht dieses Objektiv zu meinem Lieblings-Objektiv.
Welches Genre fotografierst du am liebsten?
Martin: In der Corona-Hochphase habe ich mich intensiv mit der Landschafts- und Naturfotografie auseinander gesetzt. Derzeit arbeite ich mich in die street photography ein und werde dabei auch alte, analoge Kameras mit Film einsetzen. Fest fixiert auf ein bestimmtes Genre bin ich nicht, allerdings bin ich kein Freund „gestellter“ Aufnehmen. Da halte ich es eher mit Henri-Cartier Bresson und verlasse mich lieber auf den spontanen Augenblick, der unbeeinflusst seinen Weg auf den Film oder via Sensor auf die Speicherkarte findet.
Welchen Tipp gibst du Hobbyfotografen, die mit einem Vintage-Objektiv anfangen wollen. Worauf sollen sie achten (sowohl beim Kauf als auch bei der Fotografie/Kamera)?
Martin: Eine sehr weite Frage, zu der mein Buch die Basics liefern kann. Kurzgefasst sollte man mit alten Festbrennweiten-Objektiven anfangen, die einen M42-Anschluß haben. Davon gibt es eine große Anzahl unterschiedlichster Hersteller und sie lassen sich relativ leicht an digitale Kameras adaptieren. Die klassischen Festbrennweiten um 30 mm Weitwinkel, 50 mm Normbrennweite und um 135 mm Telebrennweite sind völlig ausreichend.
Da mit diesen Objektiven rein manuell fotografiert werden muss, wird man schnell feststellen, daß diese intensivere Beschäftigung mit dem Fotografieren den Blick für Bildkomposition und die Entscheidung, was im Bild wichtig und was unwichtig ist zunehmend schärft. Es ist fast schon eine logische Folge, daß hierdurch deutlich bessere Fotos entstehen.
Auf den gängigen Onlineplattformen für gebrauchte Gegenstände gibt es ein sehr breites Angebot. Wichtig ist, dass sich Blenden- und Fokussierungsring leicht drehen lassen, dass die Blendenlamellen sich vollständig öffnen und schließen lassen und dass die Linsengläser klar, sauber und ohne Kratzer sind. Auch die benötigten Adapter sind gerade für M42 einfach zu beziehen. Es gibt auch noch alte Fotogeschäfte, die mit alten Objektiven handeln, und die vor Ort direkt ausprobiert werden können.
Du verbindest in deinem Buch analoge Fotografie mit analoger (Schallplatten) Musik. Wie ist deine Verbindung dazu und was hörst du am liebsten für Musik? Hast du noch eine alte Schallplattensammlung?
Martin: Im Grunde genommen ist die Fotografie mit analogem Altglas der Versuch, im Foto die abgebildete Realität so wirklichkeitsnah und stimmungsvoll wie nur irgend möglich wiederzugeben. Sehr ähnlich verhält es sich mit dem Hören von Musik von Vinyl. Musik, früher noch analog aufgenommen auf Masterbändern, erfassen den gebotenen Liveeindruck unmittelbar. Wenn hiervon eine Vinylplatten-Pressung erstellt wird bin ich dem Original so nahe wie nur irgend möglich. Digitale Tonträger benötigen immer noch eine analog-digitale Wandlung, was einhergeht mit Detailverlusten und oftmals digitalen Abmischungen.
Für mich besteht daher eine unmittelbare Verbindung zwischen dem analogen Sehen durch die Kamera und dem analogen Hören mittels Plattenspieler. Über 3500 Schallplatten insbesondere aus den Bereichen Blues und Jazz geben mir Inspiration und kreative Anregungen, aber auch Entspannung.
In deinem Buch ist der Begriff “Entschleunigung” sehr präsent. Was ist deine Intention dazu, was verbindest du persönlich damit bzw. wie beeinflusst es deine Fotografie?
Martin: „Entschleunigung“ ist denke ich eine gute Zusammenfassung dessen, was wir zuvor besprochen haben. Beruflich bin ich jahrzehntelang durch die Welt gereist. Immer war das verbunden mit einem hohen Maß an Fremdbestimmtheit. Das Gefühl gehetzt zu sein war omnipräsent – Flugpläne, Besprechungstermine und immer Erfolgsdruck. Eigentlich kam Corona da gerade recht. Das Leben kam mehr oder weniger zum Stillstand und wir alle mussten uns neu orientieren. Plötzlich wurden die Kleinigkeiten, Nebensächlichkeiten und vorher ignorierte Details des Lebens wichtig.
Für mich rückte die Fotografie mit Altglas in den Vordergrund. Das deutlich mehr bewusste Fotografieren zwingen zu mehr Ruhe, Gelassenheit und Fokussierung auf das mit dem man sich derzeit beschäftigt. Ich empfand diesen Umstand als eine Rückbesinnung nicht nur auf die Wurzeln der Fotografie, sondern auch auf mich selbst. Und ich habe es und genieße es immer noch, entschleunigt zu werden, mich mehr auf das hier und jetzt konzentrieren zu können, denn nur dort leben wir.
Lieber Martin, vielen herzlichen Dank für dein Interview. Es freut mich, das wir uns über den Kauf eines Vintage-Objektes kennen gelernt haben. Demnächst werde ich mein neues Schätzchen, das Helios-81 H 2/50 MC Vintage-Objektiv hier vorstellen. Ich bin schon fleißig am ausprobieren.
Analoges Sehen und Analoges Hören
Autor: Martin J. Kunz
Hardcover mit Lesezeichen
Inhalt in Fotoqualität
Erscheinungsjahr: 2021
Umfang: 172 Seiten
Größe: 270 x 270 mm
Gewicht: 1340g
Preis: 35,- Euro
Zum Buch: Der Fotografie mit alten Objektiven aus der Zeit, wo noch rein analog auf Negativ- oder Diafilm fotografiert wurde und der Nutzung dieser alten Objektive an heutigen, modernen Digitalkameras ist dieses Buch gewidmet. Die besonderen optischen Effekte verschiedener alter Optiken werden dabei in den Vordergrund gestellt. Analog wie die Fotografie seinerzeit war, so ist auch heute noch das Musikhören von einer Schallplatte ein besonderes Ereignis und ein sehr ursprünglicher Musikgenuss. Zu jedem der vorgestellten alten Linsen gibt es im Buch daher auch eine passende Entsprechung in der analogen Musik von einer Schallplatte. Viel Freude an den Vorzügen des analogen Sehens und des analogen Hörens hoffe ich mit diesem Buch vermitteln zu können.