Vom Wandern über dem Nebelmeer und vom Glück des Alleinseins
Vor einigen Jahren, als ich mich noch nicht so intensiv mit der Fotografie beschäftigte, war mir nicht bewusst, wie kurz oft der Moment ist, um ein besonderes Foto aufzunehmen. In meiner Vorstellung war das sogar recht einfach, vor allem wenn die Wettervorhersage stimmte und die Sonne schien. Wie trügerisch dieser Gedanke war, merkte ich erst, als ich mich ganz intensiv mit der Landschaftsfotografie auseinander setzte.
Spätestens als ich das fünfte Mal in Folge morgens um 3 Uhr losfuhr, um pünktlich zur blauen Stunde auf der Bastei zu stehen und um einmal den Sonnenaufgang fotografisch festzuhalten, der mir vorschwebte. Doch so einfach ist das nicht, vor allem wenn man nicht mal eben um die Ecke wohnt und man spontan losfahren kann.
So braucht es eine große Portion Glück mit seiner Kamera zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Manchmal gelingt es nie und manchmal erlebt man dieses Glück ganz unverhofft.
Letztes Wochenende wurde ich vom Tourismusverband Sächsische Schweiz zu einem Fotografentreffen nach Bad Schandau eingeladen. Da die Sächsische Schweiz nicht mal eben um die Ecke liegt, bin ich das ganze Wochenende dort geblieben. Ich wollte mit meiner Familie ein bisschen wandern und ausspannen.
Da der August nicht unbedingt zu meinen fotografischen Lieblingsmonaten gehört (das Grün der Bäume und Wälder ist jetzt viel zu dunkel und schmutzig), hatte ich auch keine besonderen fotografischen Ambitionen. Ich mietete mich spontan mithilfe des Buchungsservices der Sächsischen Schweiz zwischen Bad Schandau und Rathen ein (eine große Auswahl gab es nicht, da fast alles belegt war) und da ich im Dunkeln nach meinem Termin anreiste, war ich mir der umliegenden Landschaft nicht wirklich bewusst.
Leider schlafe ich seit vielen Jahren an fremden Orten nicht besonders gut, sodass mich kurz nach Sonnenaufgang nichts mehr in den Federn hielt. Meine Hündin sah das genauso, sodass ich meine DSLR Nikon D750 mit dem leichten 50mm Objektiv schnappte und loszog. Die Unterkunft lag mitten in der Natur und als ich vor die Tür trat, sah ich wie der Nebel überall im Tag aufstieg und in der Morgensonne verdunstete.
Tage zuvor hatte es stark geregt und es war der erste Morgen, an dem die Sonne wieder schien. Wenige hundert Meter weiter sah ich den Felsen Gamrig zwischen den Nebelschwaden in der Landschaft leuchten. Er zog mich magisch an und ich spürte den Wunsch genau jetzt dort oben stehen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welcher Felsen dort vor mir lag und welche kunstgeschichtliche Bedeutung er hat.
Spontan zog ich los und tatsächlich führte ein schmaler Wanderweg hoch auf das 253 Meter hohe Plateau. Der Waldboden war nach dem langen Regen matschig und rutschig. Im Wald war es noch dunkel und die Bäume schüttelten die letzten Regentropfen von ihren Blättern.
Um mich Drumherum war es absolut still. Kein Mensch war zu sehen, aber auch kein Vogelgesang war zu hören. Nur das schmatzen meiner Schuhe im Matsch und das hecheln meines Hundes. Gemeinsam bestiegen wir den Gamrig.
Zwischendurch nahm ich meine Hündin auf den Arm, weil die Treppen schmal und steil wie Himmelsleitern nach oben führten. Kaum traten wir aus dem Wald heraus, umfingen uns wieder die warmen morgendlichen Sonnenstrahlen.
Überall glitzerten im Sonnenlicht die letzten Regentropfen, während im Tal der Nebel aufstieg. Eine Szenerie, die, wenn man sie nicht selber erlebt hat, kaum vorstellbar ist. So stand ich ganz alleine auf dem Gipfel des Gamrig und war überwältigt. Überwältigt, weil ich dieses Naturschauspiel ganz alleine und nur für mich bestaunen durfte. Weil ich nicht reden musste, kein Geräusch mich ablenkte und ich ganz still für mich alleine in der Landschaft versinken durfte.
Welch ein Privileg, denn die ausgetretenen Pfade hoch zum Gamrig zeugen davon, dass dieses Felsmassiv oft bestiegen wird und bei diesem Wetter hätte ich eine Vielzahl von Fotografen erwartet. Ich setzte mich auf einen Felsenvorsprung und genoss die warmen Sonnenstrahlen in meinem Gesicht.
In diesem Moment wusste ich noch nicht, dass mein Lieblingsmaler Caspar David Friedrich, den Gamrig als ein Motiv in seinem bekannten Bild „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ verwendete, doch ich spürte, dass dieser Berg etwas Einzigartiges ist.
Das ich dieses Nebelmeer nun mit eigenen Augen sehen konnte, hat mich mit großer Freude erfüllt.
Ich kann die Faszination Friedrichs verstehen, diese Naturgewalt so gemalt zu haben. Zumal diese Nebel in dieser Art nicht täglich sind. Wäre ich nur 10 Minuten später gekommen, hätte ich nichts davon wahrnehmen können.
Denn das Glück der aufsteigenden Nebel in der Morgensonne hielt nur einen gefühlten Wimpernschlag an. Nach wenigen Minuten zogen schnell und ganz unbemerkt dunkle Wolken auf, die mich den ganzen Tag weiter begleiteten. Schlagartig verzogen sich die Verdunstungsnebel und alles wirkte wieder trüb und grau. Die blühende Heide hörte auf zu glitzern und es wurde Zeit für den Abstieg.
Mein Erlebnis ist ein paar Tage her, doch ich spüre nach wie vor den Zauber in mir. Ein Erlebnis was mich in seiner Einfachheit überwältigt hat. Ich freue mich darüber, dass ich meine Furcht überwunden habe, dort alleine hochzuklettern. Aber gerade weil ich dort alleine war, keine weiteren Menschen den Zauber des Augenblickes störten, bin ich dankbar für diesen wunderbaren Moment. Er ist so selten geworden und er hat mich über den Tag gerettet, als ich mit vielen anderen Menschen zum Prebisch-Tor gewandert bin. Doch das ist eine andere Geschichte.
Mit meinem Handy habe ich vor Ort ein Mini-Video gedreht. So schön wie die Nebelschwaden in der Morgensonne aufsteigen…