
Zwischen den Stühlen
Die Natur steht im Zentrum meiner Arbeit. Ich habe Geographie studiert, fotografiere seit vielen Jahren draußen, beobachte, dokumentiere. Darum wollte ich ursprünglich an einer Blogparade zu dem Thema „Welche Bedeutung hat die Natur“ teilnehmen. Doch der Fragenkatalog klang für mich nicht nach echter Auseinandersetzung, sondern nach Selbsthilfe, Symbolik und vielleicht ein bisschen Sehnsucht.
Begriffe wie „back to the roots“, „was mich erdet“ oder „natürliche Rückverbindung“ wirken wie Etiketten, die man der Natur überstülpt. Als wäre sie ein Raum, der etwas liefern soll: Heilung, Sinnsuche, Kraftgewinnung.
Doch Natur ist kein Spiegel. Sie verfolgt keine Absichten. Kennt keine Moral. Unterscheidet nicht zwischen schön und gefährlich, freundlich und unbarmherzig. Sie ist und bleibt unberechenbar.
Ich erinnere mich an Situationen, in denen Wind, Wasser, Kälte nicht mehr nur Elemente waren, sondern Bedrohung. Nicht absichtlich gesucht, sondern plötzlich da. Wer das erlebt, spricht anders über Nähe zur Natur.
Ich sitze zwischen den Stühlen.
Zwischen den Fotografen mit Teleobjektiv, Tarnzelt und Datenblättern.
Und jenen, die eine tiefe spirituelle Verbindung zur Natur suchen. Sei es in der meditativen Stille des Waldes, in rituellen Praktiken oder in der bewussten Entschleunigung im Grünen. Ich respektiere diese Zugänge, auch wenn sie nicht die meinen sind.
Beide Sichtweisen sind mir vertraut. Doch keine davon spiegelt mein Verhältnis zur Natur.
Trophäenjagd liegt mir ebenso fern wie spirituelle Aufladung. Es geht um Beobachtbarkeit. Um Momente, die sich nicht planen lassen. Wenn das Licht ungewöhnlich fällt, Farben kippen oder sich im Nebel etwas andeutet, das kein Thema braucht, dann gehe ich hinaus. An anderen Tagen bleibe ich drinnen. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus Respekt.
Ich verbinde Natur weder mit Rückzug noch mit Ganzheit oder seelischer Ordnung. Für mich ist sie weder freundlich noch feindlich, sondern etwas, auf da sich keinen Einfluss habe. Und genau deshalb nehme ich sie ernst.
Ich lebe davon, sie zu fotografieren, über sie zu schreiben, Workshops zu geben. Habe über ihre heilsame Wirkung geschrieben, weil ich weiß, dass Bewegung im Grünen messbare Effekte hat. Ich habe Objektive empfohlen, Tipps gegeben, ästhetische Entscheidungen besprochen.
Dabei bleibt ein Unbehagen. Denn auch ich nutze die Natur wirtschaftlich, ästhetisch, und intellektuell. Der Unterschied zu anderen liegt nicht darin, dass ich sie nicht instrumentalisiere, sondern in der Art, wie ich mit dieser Instrumentalisierung umgehe. Ich versuche, sie nicht zu verklären, nicht zu vereinnahmen, nicht zu einem Mittel für etwas anderes zu degradieren. Aber ehrlich: Auch das ist für mich ein schmaler Grat.
Die Natur braucht mich nicht. Im Gegenteil, ich brauche sie beruflich, künstlerisch, existenziell. Diese Asymmetrie anzuerkennen, ohne sie zu romantisieren oder zu rationalisieren, ist mein Versuch, redlich zu bleiben.
In der Ehrlichkeit, diese Widersprüche auszuhalten statt sie zu glätten, liegt für mich mehr Wahrhaftigkeit als in jedem schlüssigen Konzept.
Es entstehen Bilder. Nicht immer gelungene. Aber immer solche, die ich verantworten kann.
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