Heldenreise? Zum nachhaltigen Sachbuch aus Graspapier, Baumwolle und Maisleim
Eine Frage vorweg: Was bedeutet Naturfotografie für dich? Wie fühlt es sich an, was macht es mit dir? Am Ende des Artikels kommen wir auf deine Überlegungen noch mal zu sprechen.
Ich möchte heute an der Blogparade zum Thema Nachhaltigkeit teilnehmen. Viele mögen diesen Begriff sicherlich schon gar nicht mehr hören. Nicht nur weil er überall propagiert wird, sondern weil er oft nicht mehr als ein Marketing Gag ist. Mit Nachhaltigkeit lässt sich verdienen, aber die wenigsten Projekte oder hergestellten Produkte sind es. Leider.
Trotzdem möchte ich über Nachhaltigkeit schreiben, denn es ist nach wie vor – obwohl alle darüber reden – unglaublich schwer, ein Projekt wirklich nachhaltig umzusetzen.
Aus diesem Grund möchte ich dir von der Realisierung mein Herzens-Buchprojekt „Gefühl und Verstand – Naturfotografie“ berichten. Welche Hürden ich überwinden musste. In einem Seminar zum Thema Storytelling habe ich mal gelernt, dass sich ein Produkt, eine Sache mit einer Heldengeschichte besser verkauft.
Inhaltsverzeichnis
- Ist mein Sachbuch aus Graspapier eine Heldengeschichte?
- Was war passiert? Eine Heldenreise ohne Held
- Umweltfreundliche, nachhaltige Buchproduktion?
- Warum Kunststofffrei? Kunststoffe sind doch gut…
- Ist alles nur Greenwashing?
- Von den Bienen lernen
- Was mir half weiterzumachen
- Die Schaubuchbinderei
- Von Kritikern und Zweiflern
- Wieviel Kunststoffe habe ich bei meiner Buchproduktion eingespart?
- Wie geht es weiter?
Ist mein Sachbuch aus Graspapier eine Heldengeschichte?
Nein, es fühlt sich nicht so an, auch wenn ich das Projekt am Ende doch geschafft habe.
In einem meiner letzten Blogpost habe ich über das Problem von Schreibblockaden geschrieben und wie ich damit umgegangen bin. Diese Schreibblockade war eng verbunden mit der technischen Realisierung meines Sachbuches. Doch wie kam es überhaupt soweit? Dazu muss ich ein wenig aus der Vergangenheit plaudern.
2018 kündigte ich ein neues Sachbuch zur Naturfotografie offiziell an. Ich hatte meinen Titel „Gefühl und Verstand – Naturfotografie“ gefunden und das herunter schreiben meiner Ideen in ein Manuskript sollte ein Klacks sein. Ende 2019 sollte es erscheinen. Zwei Jahre schien mir unendlich lang, aber ich wollte mir dieses Mal richtig viel Zeit nehmen. Zumal ich wusste, dass ich inhaltlich neue Wege gehen wollte und das Buch keine Fotoschule werden sollte.
Dass ich zu diesem Zeitpunkt mit meiner zweijährigen Planung völlig falsch liegen und alles anders kommen würde, als angedacht, ahnte ich nicht. Rückblickend weiß ich nicht, ob ich noch einmal den Mut dazu hätte, so viele Höhen und Tiefen zu nehmen. Ich war im Corona-Sommer 2020 an einem absoluten Tiefpunkt anbelangt, denn nichts von dem was ich wollte ließ sich realisieren.
Was war passiert? Eine Heldenreise ohne Held
Als ich das Buchprojekt 2018 startete, war mir von vornherein klar, dass ich das Buch selber veröffentlichten wollte. Unbedingt wollte ich Inhalt und Buchgestaltung eigenständig bestimmen. Auslöser dafür war, dass ich zu meinem Buch „Naturfotografie mal ganz anders“ aus dem Franzis Verlag ganz oft die Kritik bekommen hatte, dass der Inhalt sehr gut wäre, aber die Verarbeitung, spricht Papierauswahl, Klebebindung qualitativ nicht besonders hochwertig waren. Ich sah das selber, konnte aber als Autorin nichts dagegen tun.
So entwickelte sich mein größter Wunsch, genau diese Dinge, die die Qualität eines Buches neben dem Inhalt maßgeblich beeinflussen, selber in der Hand zu nehmen. Ich wusste von der Vielfalt hochwertiger Papiere und der Möglichkeiten kreativer Buchgestaltungen und ich brannte darauf, mich hier voll einbringen zu können.
Umweltfreundliche, nachhaltige Buchproduktion?
Es war von Anfang an selbstverständlich für mich, dass mein neues Buch vor allem umweltfreundlich hergestellt werden sollte. Ich fragte damals alle bekannten „grünen“ Druckereien Deutschlands an und holte mir gefühlt eine Million Angebote ein. Ich merkte, dass meine Wünsche und die Finanzierung nicht zusammenpassten und am meisten war ich beeindruckt davon, wie „grüne“ Druckereien für sich werben.
Schnell merkte ich, dass sich hinter dem betonten „Klimaneutraldrucken“ nach hartnäckigen Nachfragen meinerseits oftmals nur ein CO² Zertifikate-Handel (moderner Ablasshandel) versteckte. Dass das „grün“ von den Firmen nicht wirklich gelebt und umgesetzt wurde. In den folgenden Monaten tauchte ich immer stärker in die Materie ein. Dabei half es mir, dass ich schon zu Verlagszeiten viel mit Druckereien zu tun hatte und deren „Sprache“ verstand.
Mir war bewusst, dass ich das Buch zu meinen damaligen Vorstellungen nur mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne finanzieren konnte. Es standen für mich persönlich unglaubliche Summen im Raum um tausende Bücher produzieren zu lassen. Um zu üben, wie dieses Modell funktioniert und ob meine LeserInnen das unterstützen würden, erarbeitete ich ein alternatives Crowdfunding zu dem Buch „Naturfotografie mit dem Smartphone“, das ich als kleines Buchprojekt dazwischen schob und innerhalb von 6 Wochen Anfang 2019 abschloss.
Die Finanzierung war erfolgreich, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt als Einzelkämpferin alle Energiereserven aufgebraucht. Ich verfiel in eine Schreibblockade und das Einholen von weiteren Kostenvoranschlägen und der Überzeugungsarbeit „plastikfrei“ herzustellen und die darauf endlos folgenden unsinnigen Diskussionen (woran ich merkte, das die Firmen ihren grünen Anstrich selber nicht umsetzen wollten) ermüdete mich immens. Es schien, als wenn ich gegen Windmühlen kämpfen würde. Denn aus dem Thema „Umweltfreundlich“ kam der Aspekt „Kunststofffrei“ hinzu.
Warum Kunststofffrei? Kunststoffe sind doch gut…
Auslöser war der Dokumentarfilm „Plastic Planet“, der mich monatelang intensiv beschäftigte. Zu sehr hatten mich die gezeigten Bilder unserer Erde verstört und mir war nicht bewusst, welche Ausmaße unser Plastikproblem angenommen hat.
Filmtipp: Plastic Planet [2009] von Werner Boote www.wernerboote.com
Daraufhin veränderte ich privat in meinem Zuhause viele Dinge: Mein Bad und Küche wurden immer mehr plastikfreier. Kleidung aus Baumwolle usw. Trotz aller Anstrengung habe ich es bis heute nicht geschafft, komplett Plastikfrei oder Zerowaste einzukaufen. Bis heute ist es ein immerwährender Kampf, der auch durch die europäische Bürokratie (z.B. Verpackungsverordnung usw.) behindert wird.
Missverstehe mich richtig: Ich bin keine radikale Ökotussi, die andere missionieren will. Doch ich sehe den vielen Müll auf meinen Wanderungen in der Natur und später wieder auf meinen Naturfotografien und denke an mein Kind und seine Zukunft. Ich spüre die Veränderungen in der Natur deutlicher in den letzten Jahren und es macht mich hilflos, wenn ich das Baumsterben im Muldental beobachte oder wunderbare Wildblumenwiesen im hiesigen Stadtwald sich in illegale Müllkippen verwandeln.
Ich habe das Gefühl, das jeder von uns mehr tun könnte. Sich immer nur zurücklehnen, auf andere zeigen und zu behaupten „was könnte man als Einzelner schon ändern“, war noch nie meine Divise gewesen. Im Gegenteil, wir haben sehr viel mehr Möglichkeiten, als wir denken. Und so kam es, dass ich mich mit dem Thema Kunststoffe in der Buchproduktion intensiv beschäftigte.
Bis zu diesem Zeitpunkt machte ich mir keine wirklichen Gedanken dazu, ob, ein Buch wirklich nur aus Papier, Pappe, Faden, Leder, Leinen usw. besteht – im Gegenteil. Das Faden, Leder, Leinen usw. zum überwiegenden Teilen aus Kunststoffen bestehen und althergebracht nur so heißen, war mir nicht bewusst. Dazu kommen Einschweißungen in Folie (du hast bestimmt schon öfter die hauchdünne Folie von Büchern abgezogen), Lesebändchen usw. Dass vor allem hochwertige Bildbände, Kochbücher und vor allem Kinderbücher besonders viele Kunststoffe beinhalten, überzeugte mich davon, einen anderen Weg einschlagen zu wollen.
Doch die Idee, mein Buch, umweltfreundlich, vor allem kunststofffrei produzieren zu lassen, brachte mein Projekt zum Stillstand. Ich fand keine Buchdruckerei- und binderei, die das Projekt so in seiner angeblichen Radikalität mit realisieren wollten. Im Gegenteil, ich stieß überall auf Widerstände und falscher Behauptungen. Damals verstand ich es nicht, heute weiß ich, was die Ursachen dafür waren und sind. Doch dazu später mehr.
Ist alles nur Greenwashing?
2019 arbeitete ich weiter an dem Manuskript, aber es ging nicht vorwärts, sodass ich den Veröffentlichungstermin auf Weihnachten 2020 verschob. Ich versuchte weiterhin UnterstützerInnen für meine Crowdfunding zu finden, doch ich traf sogar in der grünen plastikfreien Szene auf verschlossene Türen. Es war schwer für mich zu verstehen, dass immer mehr Bücher zu dem Thema „Plastikfrei Leben“ die Buchläden eroberten, aber dass ausgerechnet diese Bücher mit viel Kunststoffen produziert worden sind. Ich verlor den Mut und fragte mich, wozu ich diesen Kampf führe, wenn es nicht einmal die Interessiert, die u.a. im Social-Media als Influencer für Nachhaltigkeit stehen. Sollte das alles eine große Marketinglüge, Greenwashing sein?
2020 das Jahr, indem sich alles von heute auf Morgen veränderte. Ich verlor als Künstlerin alle meine Aufträge. Im Sommer `20, nachdem ich noch einmal den Versuch einer neuen Kalkulation wagte und feststellte, dass die industriellen Herstellungskosten in Corona sich mehr als verdoppelt hatten, wusste ich, dass mein Buchprojekt vor dem endgültigen Aus stand. Keine Aufträge, kein motivierendes Zukunftsprojekt. Depressive Stimmungen verstärkten das Gefühl. Ich hatte noch nie so ein hartes Jahr in meiner 10-jährigen Freiberuflichkeit erlebt.
Von den Bienen lernen
Kraft gab mir mein kleiner Stadtgarten, den ich in der Zeit auf einen Bienen- bzw. Insektenfreundlichen umgestaltete. Ich fing an mich mit der wesensgemäßen Bienenhaltung zu beschäftigen und stellte sowohl bei den Garten- als auch bei den Bienenthemen immer wieder fest, wie wenig auch hier auf Umweltthemen geachtet wird. Der Einsatz von Kunststoffen in der Bienenhaltung ist immens. Alleine der Begriff „Wesensgemäße Bienenhaltung“ ist von traditionellen Imkern so negativ belegt, sodass es schwierig ist, darüber offen zu reden und nach neuen Lösungsansätzen u.a. beim Einsatz von Chemie gegen die Varroamilbe zu suchen. Hier erlebte ich symptomatisch dieselben Widerstände wie in der Buchproduktion.
Was mir half weiterzumachen
Spaziergänge in die Natur und natürlich: Naturfotografie halfen mir dabei, die Themen zu verarbeiten. Naturfotografie ist heilsam für die Seele. Ich fing an mein Manuskript zu überarbeiten, neue Kapitel zu schreiben. Aus der größten Sinn- und Schaffenskrise meines bisherigen Berufslebens entwickelten sich neue Gedanken und Ideen. Im Nachhinein denke ich, dass es „da oben“ jemanden gegeben haben muss, der der Meinung war, dass ich dieses Projekt unbedingt gegen alle Widerstände weiterführen müsste.
Am Tiefpunkt im Sommer 2020 lernte ich unverhofft einen Kollegen, Peter Wettstein, Grafiker, Buchautor in der Schweiz kennen. Wir führten etliche Gespräche und in einem dieser sagte er zu mir, nachdem ich ihm meine Geschichte offenbarte
„Jana, warum machst du dein Buch nicht selber“?
Ich war geschockt und antwortete:
„Weil ich keine Ahnung vom Buchbinden habe“.
„Na dann lernst du es“, antwortete er.
Ich aber zweifelte: Wie sollte ich jemals eine kleine Auflage von Büchern selber herstellen? Weder hatte ich die Technik, noch das Wissen. Und mit meinen perfektionistischen Ansprüchen an eine Buchgestaltung würde das erst recht nicht gehen. Doch dann geschahen im Spätherbst zwei Dinge gleichzeitig: Peter schickte mir ein Überraschungs-Päckchen mit Buchbinderwerkzeugen und Materialien für Anfänger und ich fand einen Flyer auf einem meiner Spaziergänge durch die Stadt: Neueröffnung Schaubuchbinderei. Nur wenige Tage später rief ich dort an und vereinbarte einen ersten Termin. Ich besuchte die Schaubuchbinderei mit historischen Geräten und aus einer halben Stunde mal zugucken und reden wurde ein ganzer Tag.
Von da an wurde alles anders. In meinem 80-jährigen Buchbindermeister Dieter Johst fand ich denjenigen, der mich das komplette Jahr 2021 mit meinem Buchprojekt und all sein Herzblut unterstütze. Auch wenn er am Anfang zum Thema Kunststofffrei sehr skeptisch war, haben wir es nach vielen Diskussionen geschafft, einen Workflow zu erarbeiten.
Peter brachte mir während des Lockdowns die Älteste Bindung der Welt, die Koptische Bindung per Zoom bei und ich besuchte zusätzliche Onlinekurse in Großbritannien, um dort weitere Bindearten zu lernen.
Die Schaubuchbinderei
2021 wurde trotz Corona mein Jahr. Seitdem gehe ich einmal in der Woche ehrenamtlich in die Schaubuchbinderei und lerne das Handwerk auf alten, fast schon musealen Buchbindermaschinen. Die meisten ohne Strom oder Computertechnik, stattdessen werden sie mit Augenmaß, Erfahrung und Muskelkraft bedient. Ich lernte, wie ich unzählige Buchdecken mit einer Handleimmaschine herstellen kann, wie man mehrere Buchblöcke einheitlich beschneidet und wie man Titel mit einer uralten Heißprägemaschine prägt. Ich lernte zu falzen, zu heften, zu schneiden.
Mit meinen 46 Jahren erfahre ich nach 20 Jahren ausschließlichen digitalen Berufserfahrung ein altes analoges Handwerk, indem meine Hände unterschiedliche Werkzeuge statt Maus und Tastatur bedienen müssen. Die ersten Monate waren diesbezüglich wirklich nicht einfach und ich glaube, so manches Mal ist unser Buchbindermeister verzweifelt, wenn ich das Werkzeug falsch herum hielt oder vergessen hatte, wie man es bedient. Wer glaubt, Buchbinder ist ein trivialer Beruf, der irrt gewaltig.
Ich lerne viel über Leime und wie sich bei unterschiedlichen Papierarten, Luftfeuchtigkeit und Temperatur verhalten. Gleichzeitig bin ich eingetaucht in die Welt der Papiere: Vorsatzpapiere aus aller Herren Länder wurden zu meiner Leidenschaft. Überhaupt das Thema Papier: Laufrichtung, Bestandteile, Festigkeit, Grammaturen und Verhalten sind eine Wissenschaft für sich.
Im ganzen Prozess war mir bewusst, dass der Verzicht auf Kunststoffe nicht die Probleme zum Thema Papierherstellung (Chemie, Wasserverbrauch etc.), illegaler Holzeinschlag usw. löst. Im Gegenteil und das war der Grund warum ich mich für Graspapier entschied, weil es zu 40% aus Heu einheimischer Wiesen besteht und bei der Herstellung weniger Wasser verbraucht, als herkömmliches Papier. Es nutzt nichts, wenn wir bei einem Projekt isoliert nur einen Bestandteil betrachten. Es ist wichtig, ganzheitlich zu denken um nicht am Ende das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich denke dabei immer an die angeblich umweltfreundlichen Elektroautos, bei denen scheinbar niemand fragt, woher die Rohstoffe für die Batterien kommen und wie der Strom produziert werden soll. Grüner Atomstrom?
Im Herbst 2021 war es dann soweit: Mein erstes handgebundenes Musterbuch aus Graspapier wurde fertig. Vorab hatte ich die Kapitel selber in InDesign nach dem Goldenen Schnitt gesetzt, die Schriften nach der Lesbarkeit auf Graspapier ausgewählt und das Manuskript wurde professionell lektoriert.
Schwierig war noch einmal der Moment, als ich meine Fotografien, die auf Graspapier gedruckt werden, am PC farblich anpassen musste. Vorab hatte nämlich eine Druckerei behauptet, dass man Fotografien nicht auf Graspapier drucken könnte, weil die Farben darauf nicht halten würden. Heute ist das eine meiner Lieblingsanekdoten, weil ich mir immer vorstelle, wie meine Fotografien beim Aufschlagen aus dem Buch fallen.
Von Kritikern und Zweiflern
Auf meiner Reise erlebte ich viele Kritiker, die mir neben meinen eigenen Zweifeln das Leben noch schwerer machten, indem sie viele unsinnige und falsche Behauptungen aufstellten oder das Problem der Kunststoffe negierten. Doch eine meine Stärken ist, dass ich nach dem Hinfallen nicht nur weitermache, sondern selber ausprobiere. Ich höre dann immer die Stimme meines verstorbenen Vaters, der mir schon als Kind eintrichterte: Glaube nicht alles, hinterfrage, lerne und bilde dir deine eigene Meinung. In der heutigen Zeit eine nicht ganz unwichtige Eigenschaft.
Die vierjährige Reise, die im Sommer 2020 fast sein Ende fand, entwickelte sich ganz anders als gedacht. Mithilfe eines Stipendiums und ohne das ich eine aufwändige Crowdfunding-Kampagne initiieren musste, konnte ich in der zweiten Hälfte 2021 das Buchprojekt in Handarbeit vollenden. Ich hätte niemals gedacht, dass ich es schaffen könnte, mein Buch selber kunststofffrei herzustellen: Baumwollfaden, Graspapier, Buchbinderpappe, Bienenwachs und veganer Leim aus geröstetem Mais sind meine Zutaten.
Das war eine harte Arbeit, denn in der Entwicklung des Musters in der Buchbinderei wäre es oft einfacher gewesen, wenn ich auf Materialien aus Kunststoffen hätte zugreifen können. So manches Mal habe ich mich standhaft geweigert und mit meinem Buchbindermeister ausführlich diskutiert, auch wenn ich mit dem Einsatz hätte Zeit sparen können oder der Arbeitsschritt an sich einfacher gewesen wäre. Doch darum ging es nicht. Zeit spielte ab dem Sommer 2020 keine Rolle mehr. Mir war es wichtig, es gewissenhaft zu machen. Aus einem vorab industriell geplanten Sachbuch über Naturfotografie ist ein handgebundenes, nachhaltiges Kunstbuch mit viel Gefühl und Verstand entstanden.
Heute weiß ich, warum meine Suche nach einer Buchbinderei, die kunststofffrei Bücher herstellen könnte, scheitern musste: Weil fast alle modernen Buchbindermaterialien und Werkzeuge, die es heute zu kaufen gibt, aus Kunststoffen bestehen. Fadenheftmaschinen sind auf Kunststofffäden geeicht, weil diese elastischer sind und man damit schneller und mehr Bücher die Stunde binden kann. Bücher werden mit Kunststoffleimen geleimt, weil dieser schneller trocknen. Ich kann die Liste ewig fortführen. Die ganze Buchproduktion müsste maschinell umgestellt werden, wenn wir die vielen Kunststoffe vermeiden wollten. Es bräuchte den Mut, die Buchbranche innovativ zu verändern, neue Wege zu gehen.
Wieviel Kunststoffe habe ich bei meiner Buchproduktion eingespart?
Mithilfe von Frau Prof. Heinze von der HTWK Leipzig konnte ich ausrechnen, dass ich bei meinem Buch ca. 36kg Kunststoffe bei einer Auflage von 1.000 Büchern eingespart habe. Die Mengenangabe ist eine ungefähre Zahl, es ging mir eher darum ein Gespür dafür zu bekommen, wo überall Kunststoffe drin sind. 36kg klingt auch erst einmal gar nicht so viel, aber man muss es auf die Masse der Bücher im Jahr hochrechnen, die produziert werden.
Es werden weltweit ca. 1.8 Millionen Bücher jährlich mit einer Durchschnittlichen Auflage von ca. 3.000 Stück veröffentlicht. Jetzt kannst du dir ausrechnen wie viele Kunststoffe verbraucht werden. Es wird davon ausgegangen, dass ca. 10% aller Bücher nach drei Monaten aus dem Buchhandel genommen und makuliert werden. Genauere Statistiken habe ich bei meiner Recherche nicht gefunden. Das Bücher mit hohem Kunststoffanteilen schlecht oder gar nicht recycelt werden können und stattdessen thermisch verwertet werden, sollte daher nicht verwundern.
Wie geht es weiter?
Mein Buch werde ich Stück für Stück in Handarbeit herstellen. Ich produziere nur so viele Bücher, wie bestellt werden, sodass keines unnötig makuliert werden muss. Das mein handgemachtes Buch kein wirtschaftliches Modell für große Verlage, Buchbindereien oder andere Selfpublisher ist, dass sich nach den heutigen Maßstäben rechnet, ist mir bewusst. Auch wenn ich darum weiß, dass Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch in den Buchpreisen nicht einkalkuliert werden.
Das war nicht mein Ziel. Mir ist es wichtig auf die Problematik der Kunststoffe im Verlagsbereich aufmerksam zu machen und eine Lösungsmöglichkeit, nämlich nachhaltige Bücher auch ästhetisch herzustellen, zu zeigen.
Wer Bücher so wie ich mit Herzblut liebt, selber gerne liest und Naturfotografie die größte Leidenschaft ist und du sieht, wo überall in der Natur Plastik liegt, ist es nicht dann an der Zeit etwas zu ändern?
Als ich dich am Anfang meines Artikels fragte, was Naturfotografie bedeutet und wenn du so geantwortet hast, wie ich es mir denke: Nämlich, dass du die Natur liebst, sie bewahren möchtest, dann sollten wir auch alles dafür tun, sie zu schützen. Fangen wir mit kleinen Projekten an.
Dieser Artikel ist für die Blogparade von Ingrid Holscher zum Thema Nachhaltigkeit.