Von Wildschweinplagen, Bienensterben und Helene Fischer
Ein langes Pfingstwochenende liegt hinter uns. Mir ist bewusst geworden, dass schon wieder das Jahr zur Hälfte rum ist. Dabei gehört der Mai und der Juni zu den schönsten Monaten im Jahr, wenn es lange hell ist und die Schwalben laut stark um die Häuser fliegen. Ich versuche die warmen Sommerabende auf unserer Terrasse zu genießen. Doch in letzter Zeit fällt mir das sehr schwer, ich habe schon länger nicht mehr das Gefühl, dass die politischen Ereignisse nichts mehr mit meinem Leben zu tun haben oder mich in irgendeiner Form betreffen könnten. Doch das tun sie, gewaltig sogar. Denn wenn man künstlerisch tätig ist, ist man in wirtschaftlich schweren Zeiten die letzte, deren Arbeit gebraucht wird bzw. für die am Ende noch etwas Geld übrig ist. Aber das geht mir nicht alleine so, viele andere Berufe sind ebenso betroffen. Berufe, die abhängig sind von wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten und die – um ein Beispiel zu nennen – seit den Sanktionen gegenüber Russland keine Arbeit mehr haben. Berufe, die abhängig sind vom Erdöl und seit dem Fallen der Rohölpreise keine Jobs mehr bekommen. Es fällt mir schwer, die Bedingungen, Beziehungen und Verflechtungen zu verstehen und zu erkennen.
Spannend finde ich es, dass mir in diesen Momenten Bücher in die Hände fallen, dir mir in anderen Zeiten sicherlich nicht aufgefallen wären. So stand ich unlängst vor unserem kleinen Lotto-Toto Laden in Grimma, der eine erstaunlich große Vielfalt an Zeitschriften verkauft, was man in einem kleinen Ort nicht vermuten würde. So entdeckte ich zwischen all den neuen Garten- und Wohnzeitschriften eine neue Geo-Zeitschrift-Reihe, die den sehr markanten Namen eines gleichnamiges Buches von Henry Thoreau trägt: Walden.
Da ich das Buch gerne gelesen hatte, war ich sehr neugierig und kaufte ungesehen ein Exemplar. Ich weiß nicht, ob Thoreau (der sich Mitte des 19. Jahrhunderts in die Wälder Massachusetts zurückzog und sich auf das Wesentliche beschränken wollte) diese Zeitschrift gut heißen würde, strotzt sie doch nur von Werbung über Outdoor-Ausrüstungen und verkauft ein kariert tragendes, bebartetes Männerbild, das wahrscheinlich nur in urbanen Großstädten gedeihen kann. Es erinnert mich ein wenig an die Marlboro-Werbung der 90er Jahre, nur das heute die Zigarette durch ein Smartphone und das Pferd durch ein Kanu ersetzt wird, während man in den Sonnenuntergang reitet … äh paddelt.
Man muss den Redakteuren aber eins lassen, sie haben mich aus einem Artikel heraus dazu verleitet, ein Buch mit dem Titel „Deutschland ab vom Wege: Eine Reise durch das Hinterland“ zu kaufen. Die Buchbesprechung hatte es mir sehr angetan und ich wurde nicht enttäuscht. Ich war gefesselt von der Lektüre und musste es in einem Rutsch lesen. Der Autor Henning Sußebach, ein Redakteur der Zeit, hat in einer ganz wunderbaren Sprache seine Wanderung quer durch Deutschland – Vom Darß bis zur Zugspitze, in der er Straßen und Wege meiden musste – beschrieben. Ohne Pathos stellt er seine Erlebnisse dar und ich habe angefangen zu verstehen, warum es so viele „Afd Günthers“ in Deutschland gibt.
Er schreibt: Wir haben die Toleranz erfunden und definieren sie auch. Herausgekommen ist die unantastbare Herrschaft des Richtigen, die unsere Herrschaft ist. Die Klassen haben wir damit nicht abgeschafft, sondern uns nur an die Spitze der Klassengesellschaft gesetzt. Damit sind wir oben. Unten sind die anderen, die Übergewichtigen, die Helene-Fischer-Fans, die Menschen, die „als“ und „wie“ verwechseln und keine Vegetarier sind, sondern riesige Schnitzel zersäbeln.
Beim Lesen fühlte ich mich unangenehm berührt, denn schon immer verwechsle ich „als“ und „wie“ und eine Vegetarierin bin ich auch nicht. Ich habe noch nicht einmal eine Laktose- oder Gluten-Intoleranz, um hipp zu sein. Ich fühlte mich erinnert an ein Telefongespräch vor knapp einem Jahr, als ich dachte, ich müsste mit einer Berliner Art Direktorin zusammen arbeiten, damit meine Fotos moderner würden. Das Gespräch mit der Art Direktorin verlief so gar nicht nach meinen Vorstellungen, denn innerhalb von 3 Minuten wurde ich mit einem hippen Berliner Dialekt abgekanzelt und verstand nur, dass ich es als Fotografin aus der „Provinz Gallien“ nicht wert bin, sich dorthin zu bemühen, um mit mir zusammen zu arbeiten. Zudem ließen es die allzu wichtigen Termine in New York auch so gar nicht zu.
Ich kam also gar nicht mehr dazu zu sagen, dass ich doch gar kein Helene Fischer Fan bin .., da war das Gespräch auch schon beendet und ich fühlte mich schal und leer zurückgelassen.
Nach der Lektüre von Herrn Sußebach weiß ich, obwohl mir dies als Geographin eigentlich schon lange unbewusst bewusst ist, dass die gesellschaftliche Trennung Deutschlands nicht nur von Ost nach West verläuft, sondern durch Stadt und Land. In einem Interview sagte er so treffend:
„Ich habe gemerkt, dass politische Entscheidungen, die in der Stadt gefällt werden, sich insbesondere auf dem Land manifestieren. Nehmen wir die Energiewende. Für mich als Städter war die Energiewende damit erledigt, dass ich den Stromanbieter gewechselt habe. Auf dem Land werden zahllose Biogas-Anlagen gebaut – und mit Mais betrieben. Unterwegs bin ich in ein Dorf geraten, da hat der letzte Bauer die Viehhaltung eingestellt und die Mitarbeiter rausgeschmissen, weil Mais jetzt profitabler ist. Durch diese Monokultur erkennen auch viele Leute ihre Heimat nicht wieder. Und wegen des Maises gibt es eine riesige Wildschweinplage. All das heißt nicht, dass ich die Energiewende schlecht finde, aber sie hat auf dem Land Folgen, von denen ich wenig wusste. Das hat mich demütig werden lassen.“ Quelle
Die Wildschweinplage und der Mais ist nur das eine, Monokulturen aus Raps mit Pestizidnutzung und das Bienensterben ein weiteres von vielen Auswirkungen. Erst gestern bin ich durch das Muldental gefahren. Überall Raps soweit das Auge reicht und wann habe ich zuletzt Mohn- und Kornblumenfelder gesehen? In diesem Jahr waren es gerade mal zwei oder drei verkümmerte Mohnblumen am Feldesrand. Und kein Insekt weit und breit, von Bienen ganz zu schweigen.
Dabei beschäftigen mich die Bienen schon länger. Nicht nur fotografisch. Umso mehr hatte ich mich gefreut, dass im letzten Winter auf meiner Rügenreise auch ein Imkermeister dabei gewesen ist (An dieser Stelle einen lieben Gruß an Norbert, ich weiß, dass Du mitliest) und einen ganz wundervollen spontanen Diavortrag über seine Arbeit als Imker gehalten hat. Vor ein paar Tagen sah ich ihn wieder in einer Fernseh-Reportage und da wir uns seit unserer Fotoreise nicht mehr gesprochen hatte, nahm ich es zum Anlass, ihm eine „Wie geht es Dir und Deinen Bienen-Nachricht“ zu schreiben.
Er schrieb zurück, dass es seinen Bienen gut geht und sie gut über den Winter gekommen sind. Aber auch: „Gerade habe ich 5 meiner Völker nach Angermünde gefahren. Hier in Brandenburg haben die Imker im Durchschnitt 40% ihrer Bienen in letzten Winter verloren. Das ist echt bitter.“
Das ist wirklich bitter und das Bienensterben nimmt kein Ende. Im Gegenteil. Seit den 1980er Jahren gibt es Gebiete in China, in denen die Honigbiene komplett ausgestorben ist und Millionen von Wanderarbeiter Obstbaumblüten per Hand bestäuben. Schon länger beschäftigt mich das Thema Honigbiene, aktuell seit dem ich das Buch „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde gelesen habe. Ein Roman, der drei miteinander verbundene Geschichten erzählt, die in der Vergangenheit des 19. Jahrhunderts in England, in der Gegenwart in den USA und in der Zukunft des Jahres 2096 in China, spielen. Besonders der Erzählstrang, der in China spielt, hat mich, vor allem als Mutter, sehr berührt hat. Dort wird eine Zeit beschrieben, in der es keine bestäubenden Insekten und dementsprechend es auch kein Obst und Gemüse mehr gibt und die Menschen verhungern. Hinter der Kulisse verlassener Städte herrscht dort eine Landwirtschaft vor, die von größtenteils zwangsumgesiedelten Menschen, wie in Straflagern organisiert, bewirtschaftet wird. Selbst 8-jährige Kinder müssen täglich 12 Stunden am Tag, in den Bäumen Blüten bestäuben. An manchen Stellen im Buch wurde ich an George Orwell „1984“ erinnert, dessen Überwachungsstaat-Utopie seit Pegida, IS und Wikileads an Aktualität nicht verloren hat.
Aber am meisten bedrückt mich, dass das dort beschriebene massenhafte Bienensterben (CCD Colony Collapse Disorder) schon lange keine Utopie mehr ist, sondern heute bereits allgegenwärtig stattfindet.
Das es ohne die Honigbiene keinen Honig mehr gibt, ist das eine. Aber die Auswirkungen auf die Natur, auf unsere Ernährung sind unvorstellbar. Während ich das schreibe, fühle ich mich wirklich hilflos. In einer Zeit, in der ein einzelner Mann aus Amerika ganze Abkommen kündigen kann, nur weil er es kann und damit Macht demonstriert. In einer Zeit, in der viele Menschen in meiner Umgebung denken, dass sie nichts mit den Problemen zu tun haben und sie sogar verleugnen. Die, die auf die Grünen mit ihrer blöden Umweltpolitik, auf die Schwarzen mit ihrer Flüchtlingspolitik und auf die Roten mit ihrer Einkommensverteilungspolitik schimpfen. Immer wieder bekomme ich zu hören „ich kann doch nichts ändern, es sind die da oben, die anderen. … Und wer bin dann ich … die, die „als“ und „wie“ verwechselt?
Vielleicht hast Du, Zeit und Lust nächste Woche in meinem experimentellen Food-Workshop dabei zu sein?
Wenn du Fragen hast, ruf mich an. Ich freue mich auf dich!
Herzlichst deine Jana
Nächste Termine
> Der nächste Fotospaziergang findet am 17.06.2017 um 18:00 Uhr statt. Treffpunkt: Schiffsmühle Grimma
> Das nächste Foto-Cafe findet in meinem Atelier am 20.6.2017 um 19:00 Uhr statt.