Einsamer Strandspaziergang in Nordjütland
Die Winterferien haben begonnen und wir dürfen uns in Sachsen auf zwei wunderschöne Februarwochen freuen. Als ich ein Kind war, da dauerten die Winterferien noch drei Wochen. Wir fuhren in dieser Zeit nie weg und ich erinnere mich an eine langsam vergehende Zeit, in der ich mit den wenigen Kindern, die in meiner Nachbarschaft wohnten, auf der festgefrorenen Straße Gleitschuh lief oder einen Schneemann baute.
Heute ist das beinahe unvorstellbar, denn wenn einmal Schnee fällt, dann ist die Straße schon nach wenigen Stunden matschig grau und kein Kind könnte aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens darauf spielen. Wenn ich an meine Kindheit denke, dann kommt mir dagegen alles ganz langsam und ruhig vor. Wir hatten endlos Zeit – so schien es mir. Sicherlich ist die Wahrnehmung als Kind immer anders, trotzdem bin ich immer wieder auf der Suche nach dieser Ruhe und Langsamkeit.
Gerade in den letzten Wochen hat mich die Schnelllebigkeit unserer Zeit eingeholt. Anfang des Jahres habe ich von meinem Verlag die Nachricht bekommen, ob ich nicht an einem neuen Buch zur Natur- und Landschaftsfotografie interessiert sei. Es ging nicht darum, mein zwei Jahre altes Buch zu überarbeiten sondern ein komplett neues Buch zu schreiben. Aber wie kann es sein, das ein Buch nach zwei Jahren veraltet ist, in dem es nicht um Themen geht, die einem Alterungsprozess unterliegen, wie zum Beispiel Technik, sondern um Grundlagen? Ich würde meinen Titel heute nicht anders schreiben und neue Erkenntnisse sind mir auch nicht gekommen.
Die Erfindung des Buchdruckes galt 200 Jahre lang als eine völlig neue Technologie, Feiningers Standardwerk zur Fotografie wird seit den 1960er Jahren unverändert veröffentlicht. Verlangen heute die Leser innerhalb weniger Monate andere Erkenntnisse zur Landschafts- und Naturfotografie? Natürlich könnte ich, wie es mir bei so manchen meiner Kollegen erscheint, agieren, und ein und demselben Inhalt in verschiedenen Buchtiteln publizieren. Ich möchte aber meine Leser nicht enttäuschen. Gleichzeitig muss ich mit den Ärgernissen kämpfen, dass anscheinend immer wieder Inhalte aus meinen Büchern in anderen Werken auftauchen. Unlängst habe ich ein ganzes Kapitel aus meinem Wabi-Sabi-Buch entdeckt, natürlich, so versteht es sich, ohne eine Zitatangabe.
Aus diesem Grund war ich froh, mir eine zwei-wöchige Auszeit zu gönnen. Wie immer habe ich mir ein einsames Ferienhaus gesucht, dessen Gegend, so hoffte ich, jetzt im Winter völlig menschenleer ist. Ich befinde mich derzeit im hohen Norden Dänemarks in Skagen. Obwohl das Häuschen in einer Ferienhaussiedlung liegt, bin ich völlig alleine. Alle umliegenden Wohnungen sind verwaist. Die Temperaturen sind frühlingshaft mild und nach den letzten stürmischen Tagen liegt die Ostsee wie ein Spiegel vor mir. Ich war stundenlang am Strand spazieren, mit dabei meine Hündin und meine Kamera. Während ich zu Hause immer Angst habe, sie alleine laufen zu lassen, ist es hier ein Traum, mit ihr am Strand spazieren zu gehen. Es ist wunderbar anzuschauen, wie viel Freude sie am Strand hat. Möwen nachzujagen und sich in betagten Fischresten zu parfümieren, muss wohl ein Hundetraum höchster Güte sein. Im Moment in dem ich hier schreibe, liegt sie völlig fertig in ihrem Körbchen und träumt mit leisem Schnarchen vor sich hin.
Während sie am Strand ihren Aktivitäten nach ging, konnte ich mir ganz bewusst Zeit nehmen, den Spaziergang zu genießen. Kein Mensch war zu sehen und ich war völlig mit mir alleine. Am Anfang machte mir das immer ein bisschen Angst, weil es so ungewohnt ist, Niemanden zu sehen und zu hören. Doch nun gehe ich darin auf. Heute war es frühlingshaft mild, die Wellen rauschten langsam vor sich hin und ich konnte neben den Fotografieren meiner zweiten Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Muscheln suchen. Dabei habe ich mich auf eine einzige Muschel- bzw. Schneckenart fokussiert. Zwischen den tausenden von Muscheln habe ich nur eine einzige Art gesucht. Das ist sehr beruhigend und die Gedanken kommen zur Ruhe. Es schärft das Sehen, die Wahrnehmung. Alles kommt in einem Fluss. Und dabei den frischen Seewind und die Sonne genießen. Nichts stört, kein menschliches Geräusch, außer der eigene Atem und das Knirschen, wenn eine Muschel unter den Schuhen zerbricht, ist zu hören. Das sind die Momente, in denen ich instinktiv Motive sehe und kreativ werden kann. Es ist kein Müssen da und niemand der bewertet oder drängelt.
Jetzt liegen die Bilder auf der Kamera. Einige wenige habe ich schon gelöscht, der Rest wird zu Hause am großen Bildschirm ausgewertet. Jetzt werde ich mich vor den Kamin setzten, lesen, die Ruhe genießen und dem Holz beim Verbrennen zuschauen. Dabei werde ich ein schönes Glas Rotwein genießen.
Was gibt es Schöneres?