
Sehen oder Gesehen-Werden? Fotografie zwischen Technik und Wahrnehmung
Diese Artikelserie besteht aus drei Teilen und widmet sich der tiefgehenden Wahrnehmung in der Naturfotografie. In einer Zeit, in der wir von Bildern überflutet werden, liegt die wahre Kunst des Fotografierens nicht nur im technischen Können, sondern in der bewussten Wahrnehmung der Welt um uns herum. Jeder Teil dieser Serie führt dich tiefer in die verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung ein und hilft dir, deine Fotografie auf eine neue, bedeutungsvolle Weise zu erleben.
Teil 1: Sehen oder Gesehen-Werden? Fotografie zwischen Technik und Wahrnehmung
Teil 2: Mehr als nur Sehen – Die Grundlagen der Wahrnehmung
Teil 3: Das Fremde sehen: Japan und die Illusion der Objektivität in der Fotografie

Inhaltsverzeichnis


Ist die Magie der Fotografie verloren?
Die digitale Fotografie hat sich rasant gewandelt. Künstliche Intelligenz übernimmt technische Prozesse: Kameras und Smartphones regeln Belichtung, Schärfe und Farben nahezu autonom. Während der technische Fortschritt den Zugang erleichtert, scheint das Interesse an klassischen Fotokursen zu verblassen. Ist Fotografie in ihrer ursprünglichen Form obsolet? Hat die Automatisierung das bewusste Sehen ersetzt?
Bereits 2010 stellte das Museum of Modern Art in San Francisco auf dem Symposium Is Photography Over? diese Frage. Der Fotograf Philip-Lorca diCorcia äußerte mit Wehmut: „Die Magie der Fotografie – sei es ein chemischer Zauber oder ein digitaler Trick – hat ihre Faszination verloren.“
Doch hat sie das wirklich? Täglich werden Millionen Fotos in sozialen Medien hochgeladen – nie war Fotografie präsenter. Doch während sie unser Leben mehr denn je durchdringt, verlieren klassische Fotografiekurse an Bedeutung. Warum? Die Art, wie wir fotografieren und Bilder konsumieren, hat sich verändert. Neue Technologien, intuitive Bildbearbeitung und die permanente Verfügbarkeit von Kameras haben den Zugang zur Fotografie revolutioniert. Doch was bedeutet das für das bewusste Sehen und Gestalten?

Technik versus Wahrnehmung: Wer steuert wen?
Die Fotografie hat sich gespalten. Die einen vertrauen auf KI, die „sehen“ kann – Algorithmen, die den perfekten Moment berechnen. Die anderen begreifen Fotografie als Kunst der Wahrnehmung: ein achtsames Spiel mit Licht, Formen und Emotionen. Ich selbst fotografiere mit einer Nikon D750, einer älteren DSLR und manuellen Vintage-Objektiven, und spüre dabei, wie mich der manuelle Prozess tiefer mit meinem Motiv verbindet. Er zwingt mich zum bewussten Sehen – eine Erfahrung, die Automatisierung nicht ersetzen kann.
Doch was geschieht, wenn Technik das Sehen übernimmt? Moderne Smartphones und Spiegellose Systemkameras analysieren Motive in Sekundenbruchteilen, erkennen Gesichter, passen Belichtung an, glätten Hauttöne – oft ohne Zutun des Fotografen. Ist das noch Fotografie oder nur automatisierte Bilderzeugung?
Der schon etwas ältere kubi-online-Artikel zur kulturellen Bildung zeigt: Junge Menschen nutzen Fotografie weiterhin als Ausdrucksmittel, um ihre Sicht auf die Welt festzuhalten, zu reflektieren und zu hinterfragen. Dies lässt sich nicht automatisieren. Bewusstes Sehen bleibt eine zutiefst menschliche Entscheidung.

Warum klassische Fotokurse scheitern – und warum das gut ist
Vielleicht liegt der Niedergang der klassischen Fotokurse genau darin begründet: Sie haben sich nicht gewandelt. Viele vermitteln nach wie vor Blende, ISO und Belichtungszeit, als seien sie das Herz der Fotografie. Doch wer eine hochmoderne Kamera besitzt, kann mit einem Fingertipp ein technisch perfektes Bild erzeugen. Die entscheidendere Frage ist: Was macht ein Bild bedeutungsvoll?
In meinen eigenen Naturfotografie Workshops – bewusst nicht als Fotokurse bezeichnet – geht es nicht um Technik, sondern um das Sehen. Inspiriert von der japanischen Ästhetik rückt die Wahrnehmung in den Fokus: Licht und Schatten, Atmosphäre, die Geschichte eines Bildes bis hin zur eigenen Biographie des Fotografen. Technik tritt zurück, nicht weil sie unwichtig wäre, sondern weil sie lediglich ein Werkzeug bleibt.

Fotografie als bewusste Entscheidung
Doch wo bleibt die Kritik? Ist KI nicht auch eine Chance? Zweifellos kann sie Kompositionen verbessern, Lichtverhältnisse optimieren, Fehler ausbessern. Doch sie nimmt eine essenzielle Entscheidung ab: Was ist wirklich sehenswert?
Wenn Algorithmen vorgeben, was fotografiert werden soll – wo bleibt dann unser eigener Blick? Was geschieht mit der Fähigkeit, Schönheit im Unscheinbaren zu entdecken, wenn uns Maschinen nur das Offensichtliche zeigen? Die Fotografie lebt vom individuellen Sehen, von der bewussten Entscheidung für einen Moment. Wer sich allein auf KI verlässt, überlässt das Sehen der Maschine – und gibt ein Stück seiner eigenen Wahrnehmung auf.

Die Zukunft der Fotografie: Mensch oder Maschine?
Die eigentliche Frage lautet nicht, ob KI die Fotografie zerstört. Sondern ob wir bereit sind, das Sehen weiterhin als zutiefst menschliche Fähigkeit zu begreifen – oder es an Maschinen abtreten.
Vielleicht brauchen zukünftige Fotografie-Workshops weniger technische Lektionen, sondern mehr Raum für eine eigene visuelle Sprache, eigene Gefühle zu erkennen und Emotionen auszudrücken. Eine Kamera, egal wie intelligent, kann nur das festhalten, was ein Mensch zuvor wahrgenommen und auch gefühlt hat. Wahrnehmung bleibt eine Kunst – und daran wird auch die beste KI nichts ändern.
Fotografie ist das Zusammenspiel von Technik und Bewusstsein. Während KI die Technik perfektioniert, bleibt die wahre Kunst die bewusste Entscheidung: Welches Bild erzählt meine Geschichte? Wer sich dem Sehen mit Achtsamkeit widmet, entdeckt, dass Fotografie weit mehr ist als technische Parameter – sie ist Ausdruck von Persönlichkeit, Emotion und Kreativität.
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