Film ab! Meine Leidenschaft Handbuchbinderei
Meine Geschichte hinter den Filmen
Seit über einem Jahr gehe ich regelmäßig in die örtliche Schaubuchbinderei. Der Donnerstag ist mein analoger Tag. Ein Tag, an dem ich lerne mit Maschinen umzugehen, die zum Teil um 1900 gebaut wurden. Ein Tag, an dem ich in eine andere Welt eintauche. In der tagesaktuelle Themen kaum eine Rolle spielen und ich stattdessen mich mit einem uralten Handwerk beschäftige. Ich muss gestehen, das ist keineswegs immer einfach und auch nicht so romantisch wie es aussieht.
Handwerk bedeutet so vieles: Wissen, Präzision, Hingabe, Leidenschaft, Ausdauer, Geduld, Fingerfertigkeit, Aufmerksamkeit. Wer denkt, die Handbuchbinderei ist ein einfaches Handwerk, der irrt. Es gibt soviel zu lernen, zu verstehen. Es ist Physik, Chemie, Mathematik – eigentlich all die Fächer, die ich zu Schulzeiten so gar nicht mochte. Aber hätte man mir damals die unbeliebten Naturwissenschaften mithilfe der Buchbinderei erklärt, hätte ich sicherlich viel mehr Spaß und Freude gehabt. Ich sehe das auch heute bei meinem Kind, 7. Klasse. Die Aufgaben in diesen Fächern können nur Abneigung und Widerwille hervorrufen. So wünschte ich, das Schule endlich reformiert und an die heutigen Bedingungen angepasst wird. Aber ich schweife ab.
Als ich im Oktober 2020 das erste Mal die Schaubuchbinderei besuchte, wusste ich nicht wirklich was mich erwartete. Ich hatte ein vages Ziel, von dem ich nicht wusste ob es realisierbar ist. Aus einer halben Stunde mal gucken wurde ein ganzer Tag und ich war vom ersten Moment an fasziniert. Ich durfte zwar nur zugucken, aber es juckte gewaltig in meinen Händen es auszuprobieren.
Leider durchquerte ein erneuter Lockdown meine Pläne, aber im Frühjahr 2021 ging es dann richtig los. Am Anfang war es gar nicht so einfach, aus einer Buchidee ein konkretes Projekt zu machen. Wir mussten viel ausprobieren. Zum Beispiel ob sich der vegane Maisleim mit meinem Graspapier verträgt und wie sich dieses Papier im Trocknungsprozess verhält. Wir haben eine 60 Jahre alte Papierbohrmaschine gekauft, neu zusammengebaut und eine Vorrichtung gebaut, damit ich die Löcher für die japanische Bindung gleichmäßig bohren konnte. Alleine der Kauf des supendünnen 2mm Papierbohrers war ein Akt von über vier Wochen, indem wir gefühlt tausend Telefonate mit Herstellern führen mussten und es hieß, damit kann ich keine Buchbinderpappe bohren, sie würden abbrechen. Aber es gab eine gelernte Buchbinderin im Verkauf, die das verneinte und mir den Tipp mit der Kernseife gab. Bisher hat der Bohrer alle Pappen wunderbar durchbohrt.
Jeder einzelne Schritte musste gut durchdacht werden. Und immer dabei im Blick: Es musste alles kunststofffrei bleiben. Ich kann mich daran erinnern, als wir die Heißprägemaschine mit den Messinggravuren eingerichtet haben und die ersten Buchdecken geprägt wurden. Mein Meister war nicht wirklich glücklich. Ihm fehlte Farbe und er prägte mir dann einen Buchtitel mit einem schönen dunkelblauen Farbton. Nun, das hätte mir optisch auch gefallen. Doch das sind alles Farbfolien. In der früheren DDR gab es einen Hersteller, der diese Farbrollen aus Papier herstellte. Doch leider werden sie nicht mehr produziert. Und ganz früher, um 1900, als die Maschine gebaut wurde, gab es zu diesem Modell eine Extra Farbplatte, auf der die Farbe zum prägen mit Handrollen aufgetragen wurde. Leider fehlt dieses Zusatzteil, sodass auch dies keine Option für mich war. Also blieb es bei der Blindprägung, die mir aber nach wie vor richtig gut gefällt. Ich liebe es mit den Fingern über das Graspapier und die Prägung zu streichen. Das fühlt sich wunderbar an.
Die Umsetzung ohne Kunststoffe war immer ein Finden von Kompromissen oder einfach weglassen.
Der Faden zur Bindung stammt zum Beispiel aus dem Kurzwarenbereich und wird als Küchengarn oder Macramé-Garn verkauft. Auch hier habe ich vorab etliche Garne getestet. Leinen oder Hanf hört sich zwar klasse an, ist aber zum Buchbinden der Koptischen Bindung nicht so gut geeignet. Die Fäden sind zu unflexibel. Anderen Baumwollgarnen fehlte der Nachweis, wo sie produziert werden. Überhaupt war das Nachfragen beim Verkäufer, wie und woher die Baumwolle stammt, oft gar nicht erwünscht und es war schwierig für mich Vertrauen zu zu bekommen. Es gab auch Garne, die beim Binden abgefärbt haben, also wo die Farben nicht wasch/lichtecht sind. Jetzt habe ich hier eine Schublade voller ungeeigneter Garne die ich umsonst anschaffen musste.
Aber das gehört dazu: Maschinen die nicht geeignet sind, Papiere die nichts taugen, Werkzeuge die man nicht wirklich braucht. Doch das hielt sich alles in Grenzen und Dank meines Buchbindermeisters hat das meiste auch am Ende funktioniert. Er ist begnadet darin, Hilfswerkzeuge und Vorrichtungen in Handarbeit zu bauen, die man dazu braucht, um ein Buch in Serie zu erstellen. Denn das war das Problem: Es ist leicht möglich, ein Exemplar am Küchentisch zu basteln. Aber wie bekommt man es hin, mit einfachen Buchbindermaschinen eine „Produktionsstraße“ zu bauen, sodass jedes Buch gleich und professionell aussieht. So habe ich ein paar selbstgebaute Vorrichtebretter, um alle Buchdecken einheitlich zu beziehen. Ich habe mir eine Buchbinderwiege mit Stahllineal von der örtlichen Tischlerei bauen lassen, damit die Löcher für die Bindung immer den gleichen Abstand haben.
Am Ende habe ich ein halbes Jahr gebraucht, um das Musterbuch und die Produktionsstrecke fertig zu stellen und alle Fertigkeiten zu lernen. Natürlich ist auch viel schief gegangen. Ich habe unter anderem die falsche Schneidemaschine gekauft. Als ich sie anschaffte, schaute ich nur nach der Größe, also wie groß das Papier sein darf. Achtete aber unwissenderweise nicht auf die Schnitthöhe und den Anpressdruck. Jetzt ist meine Maschine für mein Buch viel zu klein und schmächtig. Sie schneidet das schwere 120g Graspapier im ganzen Buchblock nicht gerade. Das Papier rutscht unter dem geringen Anpressdruck einfach weg und verzieht sich. Beim ersten Schnitt habe ich auch gleich das teurere Messer zerstört, weil ich im Buchblock eine Nadel habe liegen lassen, die verrutscht ist. Diese Fehler sind nicht nur teuer, sie kosten vor allem Zeit und Nerven.
Obwohl nun mein Buch soweit ist, dass ich jeden Tag ein bis zwei Exemplare binden kann und alle 6 Wochen Bücher im Ganzen fertigstelle, gehe ich selbstverständlich weiter in die Schaubuchbinderei zum lernen. Im Februar komme ich ins „2. Lehrjahr“ und es gibt soviel zu lernen. Mein Buchbindermeister hat seinen Beruf mit 14 Jahren gelernt und ist heute 80 Jahre alt. Sein Wissen ist scheinbar unendlich, auch wenn er selber von sich sagt, dass er immer noch dazu lernt. Jedes Buch was zur Reparatur hereinkommt, ist anders. Es gibt kein „das machen wir immer so“ oder weil wir das beim letzten Buch so gemacht haben, wird das jetzt auch so umgesetzt. Im Gegenteil. Jedes neue Buch wird untersucht: Alter, Materialien, Bindeart, Papier, Inhalt usw. Alles muss aufeinander abgestimmt sein. Mittlerweile darf ich die ersten Bücher schon alleine machen. Aber ich bin froh, dass ich ihn immer wieder fragen kann und er mir hilft, wenn ich nicht weiter komme. Doch wir reparieren nicht nur, wir machen auch neue Dinge: Buchattrappen, Franzbände, Reihenbroschuren, Diplomarbeiten – alles was in einer Handbuchbinderei anfällt. Die Liste der Lehrlingsarbeiten die ich noch abarbeiten muss, ist endlos lang.
Wer hätte das im Sommer 2020 gedacht, als mein Buchprojekt kurz vor dem Aus stand und ich nicht wusste, wie und ob es weiter gehen kann. Das ich am Ende noch die Handbuchbinderei richtig lerne (also nicht nur für mein Buch), hätte ich auch nie gedacht.
Wenn du die Schaubuchbinderei mal besuchen möchtest, wir haben immer Donnerstags von 10:00 bis 17:30 Uhr geöffnet. Die Schaubuchbinderei befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Stadtgutes, Leipziger Platz 5 in Grimma. Wenn du von weiter her kommst, dann ruf mich am besten vorher an.
Jana Mänz
„Fotografie aus Leidenschaft“, das ist das Motto der 1976 in Halberstadt geborenen künstlerischen Fotografin und Buchautorin Jana Mänz. Als Natur- und Landschaftsfotografin zeigt sie uns die Welt auf ungesehene Weise. Die Abbildung der Wirklichkeit lässt sie dabei gerne hinter sich, um mit ganz eigener Handschrift Bilder zu schaffen, die im Gedächtnis bleiben. Gerne gibt Jana Mänz ihr Wissen weiter: Sie unterrichtet Fotografie und Bildbearbeitung.